Kommentar
von Anton J. Seib
Das könnte ich verstehen:
Mein Nachbar will keine Windräder vor seiner Haustür! Die sind laut, beeinträchtigen ihn beim Chillen auf der Terrasse mit Schattenschlag und könnten seine gerade für teures Geld erworbene Immobilie im Wert mindern. Und einer aus dem Dorf verdient einen Haufen Geld auf Kosten anderer, nur weil er zufällig ein Grundstück gerade dort hat, wo ein Investor Windräder bauen will. Und manche Nebenwirkungen dieser Riesenräder sind noch gar nicht bekannt. Alles bedenkenswert, menschlich verständlich.
Aber es geht so:
Windräder bedrohen unseren Lebensraum und sie verschandeln unsere Kulturlandschaft. Vögel und Fledermäuse müssen sterben. Infraschall der Rotoren führt bei Anwohnern zu Gedächtnisstörungen und Panikattacken. Der romantische Blick auf die jahrhundertealte Burg wird verstellt. Ein Frevel. Außerdem ist Windkraft unökologisch und wirtschaftlich sinnlos. Und und und…
Halt! Ich bin dafür, dass Gegner von Windkraftprojekten mit offenem Visier kämpfen. Fühlen sie sich in ihrem Befinden gestört, sollen sie es sagen. Fühlen sie sich in ihren Eigentumsrechten behindert, sollen sie es sagen. Aber nicht fadenscheinig argumentieren. Und nicht Vögel oder Fledermäuse zu Handlangern machen. Denn die müssen so oft herhalten, wenn Privatinteressen verborgen werden sollen. Molche, Hamster, Fledermäuse – sie werden seit Generationen dem Fortschritt geopfert, ohne dass es einen Aufschrei der Empörung gibt. Aber wehe, ein Windrad droht den abendlichen Blick von der Terrasse auf die Burg zu stören und den Wert des eigenen Häuschens in den Keller zu treiben. Dann entdeckt so mancher sein Herz für Flora und Fauna.
Klar. Wir können und müssen über Sinn und Nutzen von Windrädern diskutieren. Auch über Standorte. Über Abstände zu Wohngebieten. Über Beeinträchtigungen. Aber wenn daraus eine Glaubensfrage gemacht wird, schrillen bei mir die Alarmglocken. Diskutieren ist okay. Wenn aber das Allgemeinwohl bemüht wird, um Einzelinteressen zu kaschieren, ist ein Diskurs nicht mehr möglich. Dann fühle ich mich als Windkraft-Befürworter in eine Ecke gestellt, in die ich nicht gehöre.
Lieber Herr Seib, schade dass Sie mein Interview bisher nicht veröffentlicht haben. Hoffentlich fühlten Sie sich nicht durch mich in eine Ecke gedrängt.
Vielleicht sind es viele Gründe, die zur Ablehnung der momentanen Windkraftpolitik führen. Dann haben auch die Recht, die den Rotmilan und den Kranichflug anführen. Wenn Naturschutz und Menschenschutz noch Vorrang hat vor der Errichtung von WKA`s, ist das aus Ihrer Sicht die falsche Einstellung? Halten Sie es für richtig, dass zwischen Bad Nauheim und Münzenberg bis zu 90 WKA`S geplant sind? Ich halte das für ein Szenario wie das „Garzweiler“ der Windkraft. Unsere Kinder werden kein Verständnis dafür haben, wenn wir uns nicht dagegen gewehrt haben.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Koch