Eine Antwort auf „Was darf Satire? Gegen den Strich“ von Ursula Wöll
Ursula Wöll hält es für „im besten Fall unhöflich, die religiösen Überzeugungen anderer so herabzuwürdigen“. Sie bezieht sich dabei auf diverse Mohamed-Karikaturen. Obwohl ich – auch kein gläubiger Mensch – ihre Intention verstehen kann, bin ich doch anderer Meinung. Wäre Religion Privatsache, gäbe ich ihr Recht. Aber die Realität sieht anders aus. Der Islam, auch das Christentum tragen ihre religiösen Überzeugungen in die Gesellschaft, in den Staat. Wollen sie zur Grundlage unseres Zusammenlebens machen. Und dann müssen sie sich auch der Dikussion mit jenen stellen, die keiner Religion angehören.
Die Freiheit der Meinung
Es waren die großen Denker der europäischen Aufklärung, die eine strikte Trennung von Religion und Gesellschaft forderten. Die Toleranz, Emanzipation und Vernunft gegen staatliche, religiöse Repression, rückwärts gewandte Kleingeistigkeit setzten und damit eine geistige Grundlage für die moderne bürgerliche Gesellschaft mit ihren Grundwerten wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit legten. In dieser Tradition stehen viele religionskritische Karikaturen. Sie nehmen den Missbrauch der Religion für politische Zwecke aufs Korn, nicht die Religion an sich. Das hat nichts mit „mangelnder Empathie“ zu tun, und es scheint auch nicht „der alte koloniale Geist“ auf, der anderer Religionen von oben herab betrachtet. Es geht darum, demokratische Errungenschaften gegen religiöse Fundamentalisten zu verteidigen. Mit dem Mittel der Satire. Das darf man.
Meinungsfreiheit wurde zur zentralen Forderung der bürgerlichen Revolutionen im 18. und 19. Jahrhundert. Eine demokratische Kultur kann nur existieren, wenn jeder ohne Angst vor Repression seine Meinung einbringen kann. Ohne sie könnten diese Zeilen nicht erscheinen; könnte keine Karikatur, könnte kein Landbote, könnten keine Zeitungen publiziert werden, ohne vorher zensiert worden zu sein. Meinungsfreiheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Deshalb müssen wir alle Meinungsfreiheit als ein hohes Gut täglich verteidigen. Gegen islamische, gegen christliche Fundamentalisten.
Die dialektisch satirische Zuspitzung „Was darf Satire? Alles“ stammt aus der Feder von Kurt Tucholsky. So endet der Beitrag „Was darf Satire?“, den Tucholsky unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel 1919 im „Berliner Tageblatt“ veröffentlichte; in einer Zeit also, die durch politischen Terror, Staatsverschuldung und Wirtschaftskrise geprägt war. Es bahnte sich die Krise der jungen Weimarer Republik an, die Anfang der Dreißigerjahre dann in die Katastrophe mündete. Es lohnt sich, heute wieder jene Zeilen zu lesen, in denen Tucholsky nicht nur als Verteidiger der Satire, sondern auch der Meinungsfreiheit auftritt.
Hier der Link zum Text: http://gutenberg.spiegel.de/buch/16-satiren-7810/12