Vortrag über das Werk der Schriftstellerin
Von Jörg-Peter Schmidt
Ein fades und schreckliches Buch sei „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen, meinte deren Schriftstellerkollege Mark Twain. Professor Raimund Borgmeier bewies in einem Vortrag in der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar das Gegenteil.
Spannende Jane Austen
Im Foyer der Phantastischen Bibliothek mussten zusätzliche Stühle bereitgestellt werde, damit alle etwa 90 Zuhörerinnen und Zuhörer Platz fanden. Die Organisatoren der rührigen Wetzlarer Deutsch-Englischen Gesellschaft, die eingeladen hatten, lagen mit der Wahl des Themas des Abends richtig: Jane Austen (1775 – 1817), deren Bestseller wie „Stolz und Vorurteil“ weltweit gelesen werden und Vorlagen für unvergessliche Spielfilme sind, stand im Mittelpunkt der Veranstaltung. Prof. Raimund Borgmeier aus Biebertal-Königsberg, Experte der englischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, war als Referent gewonnen worden.
Er hatte sich zum Ziel gesetzt nachzuweisen, dass die Romane der Autorin nicht nur interessant und sozialkritisch, sondern auch spannend sind, was vor allem zu ihren Lebzeiten, aber auch in späteren Jahrzehnten von einigen Kritikern bezweifelt wurde. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, dass beispielsweise Mark Twain mit seiner Meinung „Stolz und Vorurteil“ sei ein fades und schreckliches Buch, mit seiner Meinung nicht allein war. Dies im Gegensatz zu Walter Scott und Virginia Woolf, die das Schreibtalent der in Steventon (Grafschaft Hampshire) geborenen Pfarrerstochter erkannten.
Prof. Borgmeier hatte sich Austens ersten veröffentlichten Roman „Sense and Sensibility“ („Verstand und Gefühl“, 1811 unter dem Pseudonym „By a lady“ publiziert) ausgewählt, um zu aufzuzeigen, wie die Schriftstellerin Spannung aufbaut: Dies geschieht bereits durch die Beschreibung der unterschiedlichen Charaktere der Schwestern, die Hauptfiguren der Erzählung sind. Elinor (19 Jahre alt) wirkt zurückhaltend und beherrscht, Marianne (17) dagegen emotional und alles andere als „vernünftig“. Als Leser will man weiterverfolgen, welche Auswirkung diese unterschiedlichen Eigenschaften der beiden jungen Frauen auf das weitere Geschehen hat.
Nebenfiguren wecken Neugierde
Wie der Referent auch anhand von Zitaten aus dem Roman in englischer Sprache verdeutlichte, verstand es Jane Austen, Nebenfiguren so geschickt einzubauen, dass sie Neugierde erwecken. Eine gewisse Mrs. Jennings stellt immer allerlei Vermutungen an. Man will selbstverständlich wissen, ob sie zutreffen…
Die Frage, ob Elinor und Marianne den Mann ihrer Herzen fürs Leben finden, bildet erwartungsgemäß den Schwerpunkt der Handlung. Ob sie Edward oder John heißen, ob sie mehr oder weniger anständig sind: Der Leser erfährt dies nach und nach und wird in seinen Sympathien hin- und hergerissen. Wer wird am Ende die begehrenswerten Frauen zum Traualtar führen? Gibt es ein romantisches Happy End? Man sieht: Die Schriftstellerin machte bereits im 19. Jahrhundert vor, wie man den Stoff für die heute so beliebten TV-Novelas liefert, die von romantischen Liebesgeschichten sowie zauberhaften Kostümen und Landschaften geprägt sind.
Raimund Borgmeier, emeritierter Professor für neuere englische Literatur an der Justus-Liebig-Universität Gießen, konnte also durchaus nachweisen, dass Jane Austens Romane spannend sind. Das sahen auch die Zuhörer so, die langen Applaus für das Referat spendeten, für das sich im Namen der Deutsch-Englischen Gesellschaft die 1. Vorsitzende Hildegard Kaetzler und die 2. Vorsitzende Yvonne Sahm sowie die Leiterin der Phantastischen Bibliothek, Bettina Twrsnick, bedankten.