Die Weide im Stall

Kuh-Wellness auf KompostKompSchick

Von Michael Schlag

Frisches Sägemehl sorgt dafür, das Kuhställe zu Kompostställen werden. Der Kompost kann gleich auf die Äcker gebracht werden. Die Kühe fühlen sich in den Kompostställen wohler als in den üblichen Laufställen.

Die Weide im Stall

„Denen gefällt es gut hier“, sagt Meike Jäger über ihre Kühe auf dem Annenhof in Mörlenbach (Südhessen). Seit zwei Jahren lebt die Fleckviehherde im neu gebauten Kompoststall auf einer weichen Schicht aus Sägemehl. Im Stall ist es vollkommen ruhig, die meisten Kühe dösen oder kauen wieder, manche sind im Tiefschlaf, den Kopf schräg angelegt, die Augen geschlossen. „Wir wollten einen Stall, wo die Kühe sich hinlegen können,“ sagt Meike Jäger, ganz wie auf einer Weide. Von Kompostställen hatten Jäger zuerst in der Fachpresse gelesen, ein Artikel beschrieb Kompostställe in Israel, wo das Stallbausystem schon länger etabliert ist. Bei einer Informationsfahrt nach Österreich war Meike Jäger dann „überrascht von der Sauberkeit und der Ruhe“ in den Kompostställen dort. Allerdings musste sie feststellen, dass die landwirtschaftliche Bauberatung mit Kompostställen hierzulande noch wenig anzufangen wusste: „Jeder hat uns abgeraten“, erinnert sich Meike Jäger, „ein Kompoststall und dann auch noch mit Melkroboter – wie sollte das funktionieren?“

KompJaeger

Meike Jäger in ihrem Wohlfühl-Kuhstall. (Fotos: Michael Schlag)

In Betrieb ging der neue Kuhstall auf dem Annenhof dann im November 2012, berechnet mit einer Fläche von zehn Quadratmetern pro Kuh. Die Liegefläche wird alle zwei Wochen mit frischem Sägemehl nachgestreut, täglich wird sie mit einer Egge gut aufgelockert, durchmischt und belüftet. Alle drei Monate wird die Einstreu mit dem Frontlader ausgeräumt, das Sägemehl ist bis dahin zu einem dunkelbraunen, lockeren Kompost geworden. Er wird gleich aus dem Stall auf die Äcker oder das Grünland gefahren, nach kurzer Zeit sieht man nichts mehr davon.

 Kein Modell für billigs Bauen

Auf den ersten Blick erscheint die Konstruktion wie eine preiswerte Alternative zu den heute üblichen Laufställen mit Liegeboxen, Betongängen und Spaltenböden. Doch ein Kompoststall ist keineswegs ein Modell für billiges Bauen in der Landwirtschaft, erklärt Ute Langhuth, Expertin für Stallbau bei der Beratungsgesellschaft Service Team Alsfeld (STA): „Viele denken, ich brauche nur eine Halle ohne Einrichtung und ohne Güllekanäle,“ sagt Langhuth. Doch weil er den Kühen viel Freiraum gibt, benötigt ein Kompoststall doppelt so viel Grundfläche wie ein Boxenlaufstall – und diese große Fläche braucht eine frei tragende Dachkonstruktion, denn man muss sie täglich mit Schlepper und Grubber befahren können. So kam der Neubau im Tal des Mörlenbachs auf Baukosten von über 500.000 €, einschließlich eines Melkroboters. Der Stall ist für 75 Kühe ausgelegt, plus der Nachzucht von 25 Jungtieren. Für die Besitzer zeigt sich aber klar nach zwei Jahren: Die Tiere sind heute wesentlich gesünder als im früheren Anbindestall, erst zwei Kühe hätten den Betrieb seitdem krankheitsbedingt verlassen, sagt Meike Jäger und „es ist keine Kuh dabei, die Irgendwas an den Gelenken hat.“

Gibt es keinen Haken bei der Sache? Einen Rat gibt Meike Jäger jedem, der sich für einen Kompoststall interessiert: „Man muss die hohen Kosten des Sägemehls kalkulieren.“ Der Stall braucht täglich einen Kubikmeter frisches Sägemehl, es stammt von zwei Sägemühlen im Odenwald, wo es alle zwei Wochen abgeholt wird. Doch die Zeiten sind lange vorbei, da Sägemehl ein Abfallprodukt der Sägewerke war, die froh waren, es loszuwerden; bei den Preisen für die Einstreu spüren die Milchbauern heute die Konkurrenz mit den Holzpellets. Als der Kompoststall geplant wurde, sprach man noch von 9 € pro Kubikmeter Sägemehl, heute rechnet man bereits mit 15 €, je nach Region auch deutlich mehr. Aber Sägemehl hat sich am besten bewährt, es bietet eine gute Saugfähigkeit und die besten Eigenschaften für Belüftung und organisches Verrotten. Sand als Unterlage wurde auch einmal erwogen, aber bei den benötigten Mengen hätte sich die Frage gestellt „wohin mit dem Sand?“, sagt Meike Jäger. Denn Sand verschwindet nicht einfach auf dem Acker oder der Wiese, wie gut kompostiertes Sägemehl.

 Der Stall ist Kompostwerk

Man könnte als Unterlage auch fertigen Kompost aus seiner Kompostanlage bekommen, aber das funktioniert nicht, und damit wäre auch das Haltungskonzept falsch verstanden: Ein Kompoststall verwendet keineswegs schon fertigen Kompost, sondern der Stall ist selbst ein Kompostwerk, das ihn aus Sägemehl und Kuhfladen bei regelmäßiger Belüftung herstellt. Die Kompostierung unter den Kühen gehört zur Hygiene im Stall, die Rotte heizt die Einstreu auf und tötet Keime ab. Stroh ist deshalb keine Alternative, es bildet dicke Matten, aber lässt sich nicht mechanisch grubbern und lüften. Ein Kompoststall sei deshalb vor allem „für Betriebe interessant, wo Sägewerke sind und wo wenig Ackerbau ist,“ sagt Ute Langhuth. Gegrubbert wird auf dem Annenhof täglich um 17 Uhr, wenn die Kühe beim Fressen sind. Dieser Rhythmus spielte sich mit der Herde ein, die Kühe haben um die Zeit ihre Liegefläche freiwillig geräumt, stehen am Fressgitter und gehen danach zurück auf frisch gelüftetes Sägemehl.

Zwar wurden auch früher schon Kompostställe in Altgebäuden angelegt, sie funktionierten aber nicht richtig, denn diesen Umbauten fehlte oft die nötige Frischluft, sagt Ute Langhuth, aber „Luft ist das A und O“ im Kompoststall. Völlig neue entworfene und durchgeplante Kompostställe gibt es heute erst zwei in Hessen, der zweite steht in Amöneburg-Erfurtshausen bei Marburg. Andreas Schick hat ihn vor anderthalb Jahren für 120 Milchkühe gebaut. „Im Sommer ist die Unterlage wie Sand, bei Feuchte ist sie wie Maissilage“, sagt Schick. Die Liegefläche wird hier drei Mal täglich gegrubbert, nach jedem Melken. Bei leichtem Frost, wie beim aktuellen Wetter, steigt danach Dampf aus dem frisch gelockerten warmen Boden, die Kühe liegen dann auf dem dunklen Kompost wie im Morgennebel auf einer Weide. Als Einstreu verwendet Andreas Schick den Ausputz aus der Getreidereinigung einer nahegelegenen Raiffeisengenossenschaft, ergänzt durch zugemischtes Sägemehl. Das Material heizt bei regelmäßiger Lüftung auf 35 bis zu 70 Grad auf, zersetzt sich dabei und wird gleichzeitig desinfiziert. Neue Einstreu wird je nach Bedarf alle fünf Tage bis zu fünf Wochen aufgetragen. Auch bei der nötigen Arbeitszeit sollte man sich nicht täuschen lassen. Zwar muss man nicht ständig – wie im herkömmlichen Stallbau – die Liegeboxen der Kühe reinigen, dennoch solle man den Zeitaufwand nicht unterschätzen, sagt Andreas Schick: „Drei Mal täglich grubbern, jeweils zehn Minuten, 365 Tage im Jahr.“ Pro Jahr braucht der Betrieb 460 Kubikmeter Einstreumaterial, die jährlichen Kosten für Getreideausputz und Sägespäne summieren sich auf 9000 € oder 75 € pro Kuh. Vergangenes Jahr im März konnte Schick einmal zwei Kipper mit gehäckseltem Miscanthus bekommen – eigentlich angebaut als Heizmaterial – und er findet, auch das sei „ein schönes Material“.

Sauberes Fell, saubere Euter
kompaschick

Andreas Schick

Der Wechsel in den Kompoststall im September 2013 muss für die Tiere eine Wohltat gewesen sein, so erzählt es Andreas Schick: „Die Kühe blühen wieder richtig auf,“ ihr Fell ist sauber, auch die Euter sind sauber und „dicke Gelenke gibt es im Kompoststall gar nicht“. Als weiteren Vorteil des Haltungssystems nennt er den ruhigen Herdenverbund, auf der freien Fläche gebe es viel weniger Rangkämpfe. Und vor allem: Die Kühe geben mehr Milch. Seit dem Umzug auf Kompost sei die tägliche Milchleistung um drei Liter pro Kuh angestiegen. Dabei ist es schon ein ausgesprochener Hochleitungsbetrieb, angestrebt ist in diesem Jahr eine Herdenleistung von 11.000 Litern pro Kuh. Die Leistung war aber nicht der Anlass für den Wechsel des Stallsystems, sondern „der Kuhkomfort war der Grund, warum ich das gemacht habe,“ sagt Andreas Schick und er ist von dem System heute so überzeugt, dass er meint: „Wenn ich Kuh wäre, dann würde ich so wohnen wollen.“

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Dr. Wilfried Wolter

Die gute Hygiene in dem heißen Kompost könnte indes ein Nachteil des Systems werden, so Dr. Wilfried Wolter vom Hessischen Eutergesundheitsdienst. Er hält die Bezeichnung „Kompoststall“ übrigens für verfehlt und spricht selber stets vom „Kompostierungsstall“. Zwar sei die Eutergesundheit – bewertet anhand der Keimzahl in der Milch – im Kompostierungsstall auffallend gut und Euterentzündungen träten deutlich seltener auf als im Boxenlaufstall. Doch die Wärme im Kompost begünstigt auch die Entwicklung von hitzeresistenten Sporenbildnern und die seien „gefürchtet in der Molkerei, weil sie die Pasteurisierung überstehen.“ Begegnen müsse man dem mit optimaler Hygiene beim Melken. Am Abend nach dem Besuch der Kompostställe zeigt sich dann noch ein unerwarteter Nebeneffekt. Man war zwar den Tag im Kuhstall, die Kleidung riecht aber diesmal kein bisschen danach.

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