Die Vorgänge am Bad Nauheimer Franz-Groedel-Institut und die Folgen, Teil 1
Der Fall sorgte für Furore, nicht nur unter militanten Tierschützern. Vier Wissenschaftler des Bad Nauheimer Franz-Groedel-Instituts – es gehört zum verschlungenen Komplex der Kerckhoff-Kliniken – waren in die Schlagzeilen geraten. Der Vorwurf: illegale Tierversuche. Der Vorwurf bestätigte sich. Die Staatsanwaltschaft Gießen verhängte einen Strafbefehl in Höhe von 72 000 Euro und stellte das Verfahren ein. Eine Entscheidung, die bei Tierschützern, Behörden aber auch Politikern auf Empörung stieß. Die vier Wissenschaftler, so ein empörter Behördenchef, zeuge von „hoher krimineller Energie“. Auch die Landestierschutzbeauftragte Madeleine Martin fordert nach dem Skandal die Bildung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft, findet damit aber bei der Landesregierung kein Gehör. Das sei „derzeit nicht geplant“, so ein Sprecher des hessischen Justizministeriums. Die Verantwortlichen des Franz-Groedel-Instituts schweigen. Auch zu der Frage, ob sie weiterhin an Tieren forschen.
Wissenschaftler quälen Tiere
Mehrere Male hatte das Regierungspräsidium Darmstadt Versuche zur „stressinduzierten Kardiomyopathie“ abgelehnt. Doch das störte die Bad Nauheimer Forscher wenig. Nach Ermittlungen der Behörden hatten sie Mäuse und Schweine fast zu Tode bestrahlt, danach das Knochenmark transplantiert. Nagetiere hatten sie auf den Rücken fixiert, um sie unter Stress zu setzen – zweieinhalb Stunden lang an sieben Tagen. „Sie haben Tiere extremen Stresssituationen ausgesetzt, die nicht genehmigungsfähig waren“, sagt die stellvertretende Leiterin des Kreisveterinäramts in Friedberg, Isabell Tammer. Und Wissenschaftler sollen Versuche gemacht haben und erst nachträglich die Genehmigung beantragt haben – allerdings ohne Erfolg. Ums Leben kamen nicht nur ein paar Tiere, sondern „hunderte, wenn nicht Tausende“, so Tammer.
„Das ist eine Straftat“
Ein Whistleblower hatte das den Behörden gepfiffen, worauf diese tätig wurden. Was dabei herauskam, wirft kein gutes Licht auf die wissenschaftlichen Gepflogenheiten der Bad Nauheimer Herz- und Kreislaufforscher. Gegenüber dem „Wetterauer Landboten“ hat der Whistleblower die Methoden des renommierten Instituts erläutert: „Es wurden systematisch alle Unterlagen betreffend der Tiere gefälscht. So wurden zum Beispiel in den Tierversuchsbüchern regelmäßig Tiere auf andere Projekte umgemünzt und es wurden falsche Daten bezüglich der Tiere eingetragen. So zum Beispiel, dass ein Tier geplant zur Organentnahme getötet wurde, obwohl das Tier im Rahmen der extrem belastenden Operation verstorben ist. Hierzu wurden verschiedene Bücher geführt, ein ,öffentliches‘, welches auch an die Behörden gegeben wurde, und ein inoffizielles, in dem die wahren Daten standen.“ Das Friedberger Veterinäramt und das Regierungspräsidium Darmstadt sahen sich daraufhin das Institut genauer an und fanden weitgehend bestätigt, was ihnen der anonyme Insider gesteckt hatte. Tammer: „Wir hatten noch keinen solchen Fall. Das ist eine Straftat.“ Und dass das nicht in eine Anklage mündete, empört nicht nur sie. „Das ist für mich eine Riesensauerei“, sagt Kreisveterinär Rudolf Müller und wittert Einflussnahme im Hintergrund.
Es geht auch um Geld
Um Geld aber auch persönliche Vorteile geht es jenseits wissenschaftlicher Erkenntnis bei den umstrittenen Tierversuchen auch. Denn viele Ergebnisse münden in neue Medikamente und bekanntlich ist der Pharmasektor ein Milliardengeschäft. Wer da die Nase vorn hat, ist im Vorteil. Auch wenn es nur um Ruhm und Ansehen geht. „Diese Wissenschaftler konnten sich durch ihre Machenschaften auch Vorteile verschaffen, da sie ihre Untersuchungsergebnisse früher als konkurrierende Arbeitsgruppen veröffentlichen konnten, die sich an Recht und Gesetz hielten“, moniert die hessische Tierschutzbeauftragte Madeleine Martin.
Nachdem diese Machenschaften am Franz-Groedel-Institut aufgeflogen waren, sind Ärzte und Institutsleitung auf Tauchstation gegangen. Zwei Anfragen des „Wetterauer Landboten“ blieben unbeantwortet. Ein seltsames Verhalten, werden doch die Einrichtungen und ihre Forschungsvorhaben auch aus Steuermitteln finanziert. Noch. Zumindest ein Geldgeber hat inzwischen auf die Vorwürfe gegen die Bad Nauheimer Forscher reagiert. Die Deutsche Stiftung für Herzforschung (DSFH) in Frankfurt hat zugesagte Zuschüsse in Höhe von 35 000 Euro vorerst eingefroren. „Um den Bewilligungsprozess für das in den Medienberichten genannte Forschungsvorhaben intern zu prüfen“, so der Vorstandsvorsitzende Prof. Udo Sechtem. Einen Boykott werde es nicht geben, so der Stiftungsvorsitzende. Sechtem: „Soweit die Richtlinien zur Vergabe von Forschungsmitteln erfüllt werden und Forschungsanträge von den Gremien als förderungswürdig begutachtet werden, kann sich die DSHF vorstellen, dass das Franz-Groedel-Institut auch weiterhin Zuschüsse erhält.“ Will sagen: Die Praxis wird weitergehen wie bisher.
Zu viele Verfahren werden eingestellt
Die hessische Tierschutzbeauftragte Madeleine Martin hat andere Schlüsse aus den Bad Nauheimer Schummeleien gezogen. „Es ist ein Skandal, dass es nach so langer Ermittlungsarbeit und selbst bei so eindeutigen, gut belegten und systematischen Tierschutzverstößen nicht zu einer Anklage und zu einer öffentlichen Gerichtsverhandlung kommt.“ Sie fordert die Landesregierung auf, eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft auch für den Tierschutz einzurichten. Speziell fortgebildete Staatsanwälte könnten so dazu beitragen, dass Staatsziel Tierschutz in Hessen umzusetzen. Madelaine Martin: „Viel zu viele Verfahren werden eingestellt, bevor es überhaupt zu einer Anklageerhebung kommt. Das betrifft nicht nur Lappalien, sondern auch schwerwiegende Verstöße.“ Im Justizministerium hält man von einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft nicht viel. „Eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Tierschutzsachen ist derzeit nicht geplant“, so Ministeriumssprecher René Brosius-Linke. Die Staatsanwaltschaft Gießen wie auch die meisten anderen Staatsanwaltschaften hätten bereits Sonderdezernate für Tierschutzsachen eingerichtet. Damit solle sichergestellt werden, dass solche Spezialverfahren mit dem entsprechenden Know-How bearbeitet werden könnten. Brosius-Linke: „Bei Einzelfällen kann zudem die Generalstaatsanwaltschaft entsprechende Ermittlungen bei Bedarf fachlich unterstützen; bei Großverfahren kann die bei der Generalstaatsanwaltschaft angesiedelte Eingreifreserve die Ermittlungen übernehmen.“
Lesen Sie in der nächste Folge: „Zahlen, Daten, Fakten – Die statistische Aufbereitung eines heiklen Themas“