Eine Zeitreise mit dem aktuellen Band zur Archäologie in Hessen
Von Corinna Willführ
Rund 54.000 Besucher in der Keltenwelt am Glauberg, 2800 Veranstaltungen im Römerkastell Saalburg: Beeindruckende Zahlen, die belegen, wie groß das Interesse an der Archäologie in Hessen ist. Zu entnehmen sind sie dem aktuellen Band der „Hessen-Archäologie“ für das Jahr 2013. Mit mehr als 250 Seiten, rund 70 Beiträgen und gut zwei Kilo Gewicht ist das Jahrbuch 2013 das bislang umfangreichste in der Reihe der vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen herausgegebenen Jahrbücher für Archäologie und Paläontologie.
Von Kelten, Pfeifen und Windrädern
Ein dicker Wälzer, der sich nur an ein Fachpublikum wendet? Mitnichten. Vielmehr eine ebenso spannende wie lehrreiche (Kopf-)Reise in die Vergangenheit, die durch zahlreiche Fotos illustriert wird. „Mit der Keltenwelt am Glauberg in Glauburg-Glauberg und dem Römerkastell – Archäologischer Park Bad Homburg vor der Höhe verfügt die Hessen-Archäologie über ein noch recht junges und ein bereits seit Jahrzehnten renommiertes Museum“, wie der stellvertretende Landesarchäologe Dr. Udo Recker im Vorwort schreibt. Und „beide sind ganz wesentliche Bestandteile des Vermittlungskonzepts der Hessen-Archäologie“. Dazu gibt es in Band 13 gibt neben den „Leuchttürmen“, zu denen auch das Weltkulturerbe Kloster Lorsch gehört, viele weitere Entdecker-Ziele und -Themen zur Archäologie in Hessen. Dem Nicht-Fachmann erleichtern eine Karte zu den Orten der Forschungsgebiete und eine Perioden-Übersicht die Reise.
Von Torf, Salz und Tabak
Von Nord nach Süd einige Beispiele: Ob es sich bei einem ungewöhnlichen hallstattzeitlichen Einzelobjekt um die älteste Pfeife Hessens handelt?“, fragt Autor Jens Köhler – und meint damit einen Fund, der bei Grabungen an der Gasleitungstrasse bei Eiterfeld-Arzell im Landkreis Fulda zu Tage kam. Neugierig geworden?Leif Hansen berichtet über neue Forschungen zur eisenzeitlichen Saline in Bad Nauheim. Das Gelände im heutigen Zentrum der Kurstadt war vor mehr als 2000 Jahren einer der „bedeutendsten Salinenstandorte Mitteleuropas“, in dem das „weiße Gold der Kelten“ gewonnen wurde. Noch nie davon gehört?Die Burg von Rodgau-Hainhausen, erstmals im Jahr 1108 erwähnt, war in 2013 Forschungsgegenstand von drei Wissenschaftlerinnen Dagmar Kroemer, Astrid Stobbe und Tanja Zierl. „Durch Bohrungen in den heutigen Feuchtwiesen im Umfeld konnte nachgewiesen werden, dass das Gelände bis an die Oberfläche vermoort ist“ – die Burg also auf Torf gebaut wurde. Und wie geht es weiter?
Bei eisigem Wind und auf Knien arbeiten
Meist ist es eine wochen-, monatelange mühsame Arbeit, die die Archäologen mit der Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern auch bei widrigsten Witterungsbedingungen verrichten. Als schufteten sie in einer Mine mutet das Foto auf Seite 21 ein, das Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Vor- und Frühgeschichte während der Notgrabung „Am Ochsenstein“ in Oberursel zeigt. Bei eisigem Wind arbeitet eine Gruppe auf Knien, um die Untersuchungen an einem fränkischen Reihengräberfeld „Winkelseite“ in Büttelborn fortzusetzen. An der B 3 zeigt ein Foto zwei junge Frauen, die in Erdgruben südlich von Friedberg bei den Bauarbeiten zu der Umgehungsstraße auf der Suche nach Fundstücken aus Gräbern der Bronze- und der römischen Kaiserzeit sind.
Funde aus dem Mittelalter und dem Zweiten Weltkrieg
Dass die hessische Archäologie nicht nur Tausende von Jahren bis in die Jungsteinzeit
(circa 5500 vor Christus) oder in die Bronzezeit (um 1500 v.Chr.) zurückgeht, sondern sich auch dem Mittelalter (von 500 bis 1500 n. Chr.) und der Neuzeit widmet, belegen unter anderem die Beiträge eines Autorenteams über die Befunde der renaissancezeitlichen Festung unter dem Freiheitsplatz in Hanau im Main-Kinzig-Kreis oder der Text zur Untersuchung der Absturzstelle eines deutschen Kampfflugzeugs aus dem Zweiten Weltkrieg im Licher Ortsteil Bettenhausen im heutigen Kreis Gießen. „Beiträge zur Neuzeit und der Moderne“, so Udo Recker, „sind erstmals mit einem nennenswerten Anteil von zehn Prozent vertreten, was als eindeutiger Beleg für die zunehmende Beschäftigung der (Landes-)Archäologie mit diesen jüngeren und jüngsten Epochen gewertet werden muss.“
(Nach-)gefragt auch bei der Windkraft
Doch auch das Geschehen im Hier und Jetzt beschäftigt die Archäologen. Für manchen Laien sicher unerwartet: Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und Befunde sind aktuell besonders gefragt, wenn es um das geht, was über der Erde in der Region geschieht oder geschehen soll, sei es eine Ortsumgehung oder ein Neubau. Denn in der Gegenwart wurde und wird die „Arbeit der Bezirksarchäologie von einem konstant hohen Aufkommen an Stellungnahmen im Rahmen der Beteiligung Träger öffentlicher Belange bestimmt.“ Dabei an der Spitze: die angeforderten Stellungnahmen zu „Antragsverfahren zur Errichtung von Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien“, also zu Windrädern oder Windparkanlagen.
Platz für ein zentrales Funddepot
Während das Interesse der Bevölkerung an der Arbeit der Archäologen und Päläontologen stetig zu wachsen scheint, wird eines immer weniger: der Platz, an dem diese ihre Funde – von der Bandkeramik-Scherbe über Pfeilspitzen aus der Michelsberger Zeit bis zu Knochen-Relikten aus dem Mittelalter – sicher aufbewahren können. Zwar konnte in 2013 „der gesamte Bestand archäologischer Kulturgüter nach einheitlichen Vorgaben digital erfasst werden“ und damit ein wirklicher „Überblick über das in den Depots der Hessen-Archäologie aufbewahrte archäologische Erbe ermöglicht werden“, so der stellvertretende Landesarchäologe.
Allein: An allen 17 Standorten der Funddepots stößt die Raumkapazität an ihre Grenzen. Udo Recker hofft, dass die im Koalitionsvertrag der Landesregierung von Grünen und CDU getroffene Vereinbarung für die Legislaturperiode 2014 bis 2019 umgesetzt wird. Nach dieser soll „ zur Bewahrung des Historischen Erbes in Hessen ein Funddepot für die Vielzahl der andernfalls gefährdeten archäologischen Funde in Hessen“ eingerichtet werden.
Der Band „Hessen-Archäologie“ 2013 ist im Buchhandel zum Preis von 24,90 Euro erhältlich.