Ausstellung zeigt die einzigen erhaltenen Fotos
Etwa 50 Fotografien der Demonstration vom 1. Mai 1932 sind im Historischen Museum in Frankfurt zu sehen. Aus mehreren Gründen ist die kleine Sonderausstellung bemerkenswert: Es sind wohl die einzigen erhaltenen Fotos dieses 1. Mai 1932 in Frankfurt, dem letzten vor Hitlers Machtergreifung. Ein historisches Datum also, an dem abhängig Beschäftigte und Arbeitslose zum letzten Mal frei demonstrieren konnten. Last not least stammen die Aufnahmen von Gisèle Freund, die zu den berühmtesten Fotografinnen des letzten Jahrhunderts gehört.
Letzte freie Mai-Demo in Frankfurt
Berühmt war Gisèle Freund im Jahr 1932 aber noch nicht. Die 1908 in Berlin geborene studierte in Frankfurt Soziologie bei so bedeutenden Professoren wie Karl Mannheim, Theodor Adorno, Max Horkheimer und Norbert Elias. Sie war Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes und schon deshalb mit im Demonstrationszug von der Oper (heute Alte Oper) zum Römerberg. Ihr Vater, kunstsinnig und begütert, hatte ihr zum Abitur eine Leica 1 geschenkt. Die kleine Kamera mit einer Kassette für 36 Aufnahmen war neu auf dem Markt und teuer, so dass die meisten Leute noch mit der größeren Plattenkamera fotografierten. Auch die Mitglieder der zahlreichen Ortsgruppen der damaligen Arbeiterfotografen-Bewegung mussten sich noch mit Plattenkameras behelfen. Vielleicht hatte Gisèle deren Zeitschrift „Der Arbeiter-Fotograf“ abonniert, in der Fotos der Mitglieder aus dem häuslichen, betrieblichen und öffentlichen Leben besprochen wurden. Jedenfalls begnügte sich die Studentin mit der handlichen Leica am 1. Mai nicht mit wenigen Schnappschüssen. Ihre Fotos wirken gut komponiert, sie wählte den Bildausschnitt offenbar bewusst, manchmal fotografierte sie von einem leicht erhöhten Standpunkt aus. Doch ergeben ihre Aufnahmen kein repräsentatives Bild vom Geschehen. Die entwickelten Negative wurden erst um 1995 auf Barytpapier vergrößert. Das Sammler-Ehepaar Murtfeld hatte die alte und nun sehr berühmte Gisèle Freund in deren Pariser Wohnung aufgesucht und diese dazu bewogen, der Vergrößerung der in einer Schublade befindlichen Original-Negative zuzustimmen. Dankenswerterweise machte das Paar dann diese, noch von der Fotografin autorisierten Schwarz-Weiß-Fotos dem Historischen Museum Frankfurt zum Geschenk.
Neugierig bleiben war die Devise der Fotografin Gisèle Freund
Die daraus entstandene Sonderausstellung im 2. Stock enttäuschte mich jedoch trotz der Qualität der gezeigten Aufnahmen. Mein Besuch begann mit einer längeren Suche des kleinen Saales, die sicher den Baumaßnahmen geschuldet ist. Er endete mit einer großen Ratlosigkeit über den historischen Hintergrund dieser Mai-Kundgebung. Gisèle Freund knipste, wie gesagt, keine Reportage, so dass ich sogar über die Veranstalter der Demonstration etwas im Unklaren blieb. Denn verbale Erläuterungen ersparte sich das Museum weitgehend. Wir sehen also Menschenmassen, zumeist Männer, wir sehen auch einen Kinderzug, darunter SchülerInnen der Annaschule, oder eine Studentengruppe. Wir sehen zwei Redner, einer davon ist der kommunistische Reichstagsabgeordnete Otto Brenzel. Vertreten war also die Kommunistische Partei, aber waren auch die Mitglieder der damaligen Sozialdemokraten dabei? Zeitweise waren sich ja diese beiden linken Parteien in der Weimarer Republik spinnefeind. Es gab erstaunlich wenig Plakate auf der Demo, zumindest auf den Fotos sind wenige zu sehen, so dass ich auch die Teilnahme der Gewerkschaften nicht ausmachen konnte.
Undefinierbar gedrückte Stimmung
Als konkrete Forderungen der wenigen, in Handschrift beschrifteten oder gedruckten Plakate sind mir die Wieder-Einführung der Schulspeisung und die Streichung des § 218 in Erinnerung. Das fand ich sehr seltsam, war doch die Zahl der Arbeitslosen 1932 auf nahezu 6 Millionen gewachsen. Da müssten doch auch Forderungen nach Lohn und Brot erhoben worden sein! Eine undefinierbar gedrückte, unkämpferische Stimmung glaubte ich auf den Bildern wahrzunehmen. Die Versammelten ahnten wohl, dass es die bereits erstarkten Nazis schaffen würden, eine Diktatur zu errichten. Und tatsächlich gehörte der nächste 1. Mai ihnen. Sie hatten den traditionellen Tag der Arbeiterbewegung geschickt zum Feiertag gemacht. Und die Gewerkschaften riefen mit ihnen gemeinsam zum 1. Mai 1933 auf, um einem Verbot zu entgehen. Welch tragischer Irrtum, am 2. Mai 33 stürmten die Nazis die Gewerkschaftshäuser.
Porträts von Evita Peron, André Malraux und dem Paar Sartre/Beauvoir
Als Jüdin emigrierte Gisèle Freund nach Paris. Sie schrieb dort ihre Doktorarbeit über „Fotografie und bürgerliche Gesellschaft“, noch heute ein Standardwerk. Sie wurde Mitglied der bekannten Fotoagentur Magnum und machte sich bald einen Namen. Schon durch ihr großbürgerliches Elternhaus hatte sie viele Kontakte zu Künstlern und Schriftstellern. In einfühlsamer Weise porträtierte sie viele, die Weltrang erreichten, auch in Farbe, sobald dies möglich war. Wenn wir etwa an Virginia Woolf oder Walter Benjamin denken, erscheinen die Fotos von Gisèle Freund vor unserem inneren Auge. Bekannt sind auch ihre Porträts von Evita Peron, André Malraux und dem Paar Sartre/Beauvoir. Für Time Magazin lockte sie den fotoscheuen James Joyce vor ihre Kamera In Mexiko schloss die Fotografin Freundschaft mit Frida Kahlo und Diego Rivera. Ihr aufgeschlossenes Wesen machte Kontakte einfach. „Am Tag, an dem ich nicht mehr neugierig bin, kann man mich begraben“, sagte sie noch im hohen Alter. Sie starb mit fast 92 Jahren in Paris, eine wunderbare Frau, die sich nie unterkriegen ließ.
Vielleicht bringt das Begleitprogramm zur Ausstellung mehr Licht ins historische Dunkel des Jahres 1932? Es beginnt am 28. Januar mit Stadthistoriker Dieter Wesp, der Führung und Stadtgang anbietet und endet am 29. April mit einem Vortrag über die lokalhistorischen Zusammenhänge der 1.Mai-Demo. Na also, besser spät als nie! Die Sonderausstellung selbst ist bis zum 3. Mai 2015 zu sehen im hmf am Römerberg, www.historisches-museum-frankfurt.de
Schön und informativ! Ich bekomme Lust, mir die Ausstellung anzusehen – werde mich bemühen, von Hamburg aus …… Grüsse Dörte v. Drigalski