Sedimente lassen sich sortieren

Nissens Woche, die dritte

KlausNach zwanzig Jahren in diesem Hause drängt es mich immer stärker, die Sedimente abzutragen. Die Ablagerungen haben sich schon früh gebildet und wurden immer stärker. Beim Einzug verfügten wir noch über hundert Quadratmeter Dachboden, leer und schier unerschöpflich. Ein Vakuum, in das Brauchbares, aber nicht Gebrauchtes von Anfang an hinein perlte.

Sedimente lassen sich sortieren

Der graue Teppichboden aus der alten Wohnung der Liebsten, das zerlegte Billy-Regal, der große lederne Boxsack mit Klamotten aus den Siebzigerjahren. Die alte Schaufensterpuppe aus dem Flur der aufgelösten Wohngemeinschaft. Zentnerweise Lexika, Merian-Hefte, Lehrbücher. Die aus der Wohnung geworfenen Holzpaneele von 1979 – wer weiß, vielleicht braucht man sie noch mal. Im Herbst ist es mir gelungen, aus einigen dieser dünnen Bretter ein Kompostgitter zu basteln. Alte Dachschiefer, die Marmor-Grabtafel von August Streese, gestorben 1905 zu Fichtenwerder. Ausrangierte Stühle und HiFi-Geräte, das Graetz-Röhrenradio meiner Mutter. Gartenmöbel-Polsterauflagen und diverse Fahrrad- und Reisetaschen, Kartons mit alten Briefen, Kisten mit Kabeln und Lampen-Bestandteilen.

Mit den neuen Regalsystemen kehrt allmählich Ordnung auf dem Dachboden ein. Foto: Nissen

Mit den neuen Regalsystemen kehrt allmählich Ordnung auf dem Dachboden ein. Foto: Nissen

Vor allem in den Ecken und an den Rändern des Dachbodens haben sich die Sedimente zu kaum noch entwirrbaren Hügeln aufgetürmt. Eine tonnenschwere Last drückt auf die filigrane Holzkonstruktion des Fertighauses. Manchmal hört man es im Wohnzimmer bedrohlich knacken.

Nach dem Jahreswechsel packte ich es an. Am Dienstag baute ich eine Plattform, auf der sich oben die Gäste-Federbetten und die Schlafsäcke entfalten können. Darunter passen die ganzen Taschen und Koffer. Das Billy-Regal steht wieder und nimmt die alte Bettwäsche und die ausrangierten Handtücher auf. Ich habe noch ein Bücherregal gefunden. Knapp unterm First stehen nun die Buchstaben T (Franz Taut: Tausend Tage Tramp) bis W (Siegfried Martin Winter: Südamerikanische Wanderjahre). Nur X bis Z sind noch in Kartons gefangen. Am Freitag konstruierte ich weitere siebeneinhalb Regalmeter für die Stiefelsammlung der Liebsten, die Tagesdecken der Uroma und die alten Titanic-Hefte. Hat viel Spaß gemacht, das alles zu sortieren und auszumisten. Wobei – es blieb nicht viel Restmüll übrig. Gerade mal eine Pkw-Ladung Teppichreste und Elektroschrott brachte ich zum Recyclinghof. Alles andere kann man irgendwann mal wieder brauchen!

Okay. Viele Fotoalben könnten eigentlich auf den Müll. Die 30 Jahre alten Farbfotos zeigen nur noch orangenen Nebel. In die unvollständigen Goethe- und Shakespeare-Ausgaben, die ganzen Gedichtbände und in Leo Koflers Ausführungen zu Geschichte und Dialektik hab ich noch nie hineingeguckt. Trotzdem kann man das doch nicht einfach in den Papiermüll schmeißen! Ich habe die Literatur schon auf Flohmärkte getragen, doch die Kunden wollten sie nicht einmal geschenkt. Auch auf momox.de versuchte ich es. Doch da sind nur gebrauchte Krimis und Frauen-Romane für ein paar Cent loszuschlagen. Es ist wirklich schwierig. Eigentlich will ich nur meine Lieblingsbücher, ein paar Raritäten und die Sammlung handsignierter Lesungsexemplare behalten. Mein Gott, hat der Probleme, mag der geneigter Leser spötteln. Ja, die hab ich. Und ich werde sie einfach aussitzen. Mindestens bis zum nächsten Umzug.

Der ist noch eine Weile hin. Und eine kleine Weile wird es auch dauern, bis hier wieder ein Text von mir steht. Ich mache mich auf die Jagd. Nach der Sonne.

2 Gedanken zu „Sedimente lassen sich sortieren

  1. Hallo lieber Klaus,
    über dein Problem auf 100 Quadratmeter Dachboden kann ich nur milde lächeln. Und mich bemitleiden. Ich lebe in einem alten Bauernhaus mit angeschlossener Scheune. Auf vier Etagen haben sich dort in den vergangenen vier Jahrzehnten geradezu magisch tausend Dinge versammelt.
    Ich werde sie wohl meinen Erben in der Gewissheit überlassen müssen, dass sie zu den harmloseren Hinterlassenschaften meiner Generation zählen. Die bestehenden und künftigen Atommüll-Lagerstätten werden eine unendlich lange Zeit eine tödliche Gefahr darstellen. Werden in 3000 oder 5000 Jahren die Menschen unsere Schrift oder unsere heutigen Gefahrensymbole verstehen? Werden sie den Totenkopfschädel als eine Hinweis auf einen Friedhof deuten und ahnungslos mit der Grabung beginnen..?
    Auf solche Gedanken kommt man bei der Lektüre deines Wochenberichts.

    Grüße von Peter Gwiasda

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