Kein Fleisch, Mama!
Die Töchter von Landbote-Autorin Jutta Himmighofen-Strack essen keine Tiere mehr. „Am Anfang fand ich es sehr anstrengend“, berichtet sie. Wie alles begann. Ein Erfahrungsbericht.
Wenn die Kinder vegan leben
„Vegan zu leben bedeutet unter anderem, keine Bestandteile tierischen Ursprungs wie zum Beispiel Fleisch, Eier, Honig und Milchprodukte zu konsumieren, auf Leder, Seide und Pelz zu verzichten und Tierleid in allen Lebensbereichen zu vermeiden, soweit es in unserer Gesellschaft möglich ist.“ So beschreibt der Bund für vegane Lebensweise (BVL) seine Haltung.
Wie alles begann:
„Ich bin jetzt Veganerin“! Mit diesem Satz überraschte uns meine Tochter Lea, als ich sie gemeinsam mit ihrer Schwester Katharina 2011 in Kolumbien besuchte. Zuerst war ich erschrocken und ganz in mütterlicher Sorge. Nicht nur wegen der, wie ich zu diesem Zeitpunkt glaubte, sehr eingeschränkten veganen Ernährungsweise, sondern auch ob des Ortes und des Zeitpunktes. Ausgerechnet in Kolumbien. Heute rückblickend würde ich es als Schlüsselerlebnis bezeichnen. Lea war sehr geschickt. Unaufdringlich bot sie uns einiges an Lektüre rund um das Thema vegan leben an und führte uns, kaum zu glauben, in Kolumbien in vegane Restaurants, kochte landestypisch mit viel Gemüse und Reis und es ging uns gut damit.
Blutsuppe gegessen
Natürlich diskutierten wir viel über dieses Thema. Da vermischen sich ganz schnell die unterschiedlichsten Erfahrungen und Standpunkte. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen, habe noch Kühe auf die Weide gebracht, die eigene Namen hatten, Hausschlachtungen von Schweinen erlebt, wärmende, selbst gestrickte Strümpfe aus Schafswolle getragen und ohne schlechtes Gewissen Blutsuppe gegessen. Allerdings gab es auch nur einmal die Woche Fleisch und so manches Mal haben wir über die Eintönigkeit der immer gleichen „Hausmacherwurst“ gestöhnt. Mit fast täglichem Fleischkonsum und gleichzeitigen Fernsehaufnahmen von Massentierhaltung und Plakatkampagnen von gequälten Tieren und einer insgesamt sehr gesellschaftskritisch orientierten Gesellschaft sind meine Töchter aufgewachsen. Das hat sie geprägt.
Eine Mode oder eine Lebenseinstellung?
Fleisch imitieren
Nach drei Wochen geht der Urlaub zu Ende. Zurück in Deutschland wirkten diese Erfahrungen nach. Auch Katharina änderte ihre Nahrungsgewohnheiten und lebte fortan mit ihrem Freund vegetarisch. Als Lea nach einem Jahr Kolumbien zurück kommt, hospitierte sie für einige Wochen in einem der ersten veganen Restaurants in Berlin – bei Björn Moschinski, ein junger aufstrebender Koch und Kochbuchautor, der sich zum Ziel gesetzt hat eine umwelt-, menschen- und tierfreundliche Ernährungsform für immer mehr Menschen zu etablieren. Björn Moschinski ist bekannt dafür, dass er viele Fleischimitate verarbeitet. Ein Umstand, auf den Fleischesser oft mit Unverständnis reagieren. Nach dem Motto, entweder isst man richtiges Fleisch oder man verzichtet ganz darauf. Moschinski entwickelt hier eine andere Haltung: „Die Essgewohnheiten werden in frühester Kindheit geprägt und dies bedeutet nun einmal für Deutschland mehrheitlich gutbürgerliches und deftiges Essen“, schreibt er in seinem Kochbuch (Vegan kochen für alle). „Das Verlangen nach Fleisch an sich beruht jedoch nicht auf Fleisch, sondern entsteht viel mehr durch die Würzung und Veredelung, also die Zubereitung. Das Fleisch selbst dient in erster Linie der Textur und Beschaffenheit“. Sein Experiment 2010 in der Bochumer Universität bestätigt dies: Dass sein angekündigtes Gulasch aus Sojawürfeln und nicht aus Fleisch bestand, haben 88 Prozent der 300 Gulasch-Esser-Studenten bei der anschließenden Befragung nicht gemerkt.
1,2 Millionen Deutsche leben vegan
Heute vier Jahre nach Kolumbien muss ich in meinem Umfeld weder den Begriff vegan erklären, noch besonders rechtfertigen. Auch wenn laut dem Vegetarierbund Deutschland (VEBU) sich 2014 „nur“ etwa 1,2 Millionen Menschen vegan ernährt haben, gibt es in jeder größeren Stadt mittlerweile vegane Restaurants oder mindestens als vegan ausgewiesene Gerichte auf der Speisekarte. Auch meine persönliche Speisekarte hat sich verändert. Am Anfang fand ich es sehr anstrengend. Wollte ungern von liebgewonnen Gewohnheiten ablassen und trotzdem meine Töchter unterstützen. Meine persönliche Erfahrung: Wenn man gut mit einer einfachen Küche auskommt, ist es sehr einfach. Bei komplizierteren Gerichten, bei denen man zum Beispiel nicht auf Eier verzichten kann, weil sie eine wichtige Funktion erfüllen, muss man mit veganen Ersatzmitteln arbeiten. Dafür braucht es dann Erfahrung und nicht jeder bekommt diese Lebensmittel unmittelbar an seinem Wohnort. Aber ich glaube, auch das ist eine Frage der Zeit. Bei den Filialen von tegut gibt es seit etwa einem Jahr einen ganzen Gang mit veganen Produkten.
Erkenntnis
Ich bin bis heute keine Veganerin und auch keine Vegetarierin geworden. Trotzdem hat die Lebensweise meiner Töchter auch mein Verhalten verändert bzw. sensibilisiert. Das finde ich in Ordnung so. Ich denke, es ist die Aufgabe junger Menschen, in ihrer ganz eigenen Art, uns den Spiegel vorzuhalten und uns zum Nachdenken anzuregen. Sie als weltfremde Spinner zu brandmarken wird ihnen nicht gerecht.