Hausschlachtung auf dem Dorf

Von der Sau zur Worschtwurst3

Von Corinna Willführ

Hausschlachtungen gehörten zum Leben auf dem Dorf. Dorfbewohner und ein Metzger erinnern sich. Der Hessenpark informiert der  am Sonntag, 18. Januar 2015, darüber.

Hausschlachtung auf dem Dorf

Ob beim Informationstag „Von der Sau zur Worscht“ am Sonntag im Hessenpark, dem „Großen Schlachtfest“ einer Einzelhändler-Kette mit Sonderangeboten von Bauch, Rippe oder Gulasch vom Schwein noch bis zum Wochenende oder den derzeit beliebten „Schlachtessen“ in Restaurants: Weder der Besucher des Freilichtmuseums, noch der Kunde an der Fleischtheke oder der Gast im Lokal werden erleben, wie das Schwein, die Sau, also ihre Lieferanten von Schäufelchen, Presskopf, Leberwurst oder Schnitzel vor dem Zerlegen erlegt wurden. Im Hessenpark erfahren Interessierte allerdings viel Wissenswertes zur einstigen Hausschlachtung.

Wie ihr Erleben von Hausschlachtungen auf dem Dorf ihre Einstellung zum Verzehr von Fleisch bis heute nachhaltig beeinflusst hat, berichten dem Wetterauer Landboten zwei Frauen – und ein Metzger.

Marie, Jahrgang 1957, aus einem Dorf im ehemaligen Kreis Gelnhausen:

Der Mann war ziemlich dick und seine Hände ziemlich groß. Er trug schwere Gummistiefel, die ein schlurfendes Geräusch machten, wenn er über den Hof ging. Sein Bauch steckte hinter einer weißen Schürze. Die Erwachsenen sagten Erich zu ihm. Es war sehr ungewöhnlich, dass auch wir Kinder Erich zu ihm sagen durften, ohne Tante oder Onkel davor. Zu einem Fremden hätten wir Herr davor setzen müssen. Mussten wir aber nicht. Der Erich war der Mann, der kam, um die Sau zu schlachten. Einmal im Jahr. Dazu musste es kalt sein. Also November oder Januar. Bestimmt kam der Erich auch mal im Dezember. Da war es ja auch kalt. Aber da war Weihnachten. Und da waren wir Kinder auf andere Ereignisse gespannt.

Wenn der Erich kam, waren viele Leute auf dem Hof. Der Hof war in der Hauptstraße. Die war im Ortskern. Meine Eltern waren keine Bauern und hatten keinen Hof. Als Zugezogene wohnten wir dort, wo noch nicht viele Häuser waren. Da waren Männer, die dem Erich am Nachmittag halfen, und Frauen, die warteten, was es zu tun gab, wenn der Erich die Sau getötet hatte. Wir Kinder durften erst am Morgen danach wieder auf den Hof. Dann hing die Wutz auf einer Leiter an der Scheune. In zwei Hälften, aber doch immer noch oben irgendwo zusammen. Die Erwachsenen hatten viel zu tun. Das Blut von der Sau war in einem großen Kessel und musste ständig gerührt werden. Die Frauen waren dauernd dabei, Gläser und Dosen bereitzuhalten, in die die Wurst kommen sollte. Da blieb wenig Zeit für uns Kinder. Bis sich der Erich an uns erinnerte – und mit seinem blutigen Zeigefinger auf uns zukam. „So lang wie mein Finger ist, wird das Würstchen sein, das Du vom Schlachtfest erhältst.“ Das fand ich eklig. Blutwurst mag ich wohl deshalb bis heute nicht. Dass ich dabei zugucken konnte, wie aus einem Schwein Fleisch und Wurst gemacht wird, hat mich Respekt gelehrt, vor dem, was ich esse und lässt mich darauf achten, wo es herkommt und wie es hergestellt wurde. Wie einst meine Eltern, die sich noch in den 70er Jahren kaum Fleisch leisten konnten, esse ich nur selten Schwein, Rind oder Huhn. Zu Festen aber schon mal einen „Sonntagsbraten. Und einer Hausmacher Wurst aus dem Vogelsberg oder der Rhön kann ich kaum widerstehen. Ist wohl so, weil sie mich an meine Kindheit erinnert.

Die Worscht im Kessel. (Fotos: Willführ)

Die Worscht im Kessel. (Fotos: Willführ)

Metzelsupp für die Nachbarn

Hildegard, Jahrgang 1940, aus einer bäuerlichen Familie im Hochtaunus:

Hier im Dorf hat man sich immer gefreut, wenn geschlachtet wurde. Ich habe noch Fotos von 1982. Da kamen die Nachbarn und Bekannten. Das war auch schon so als ich Kind war. Da trugen wir die Metzelsupp in einer Blechkanne zu denen, die kein Schwein hatten. Die Metzelsupp war die gekochte Brühe, in der alle Teile schwammen, die nicht wie der Schinken zum Räuchern vorgesehen waren. Da waren auch Reste vom Schwänzchen drin, der Schwarte oder Wurstzutaten. Da freute sich jeder, der in der Supp ein komplettes Leber- oder Blutwürstchen gefunden hat. Wenn man wenig hat, geht es eben um die Wurst.

Das mit einem Bolzenschuss getötete Schwein wurde als Ganzes in einen Trog mit kochendem Wasser gelegt. Da kamen extra ein Metzger und ein Fleischbeschauer. Einen Metzger wie heutzutage, der einen eigenen Laden hat, gab es nicht. Der Trog war aus Holz oder Blech. Bei uns war er aus Holz. Dort wurde das Tier von seinen Borsten befreit. Den Begriff „Glocke“ wie er wohl in Norddeutschland verwendet wurde, kenne ich nicht. Aber es stimmt schon: Die Form hatte etwas von einer kleinen Glocke. Man konnte sie gut in die Hand nehmen, die Unterseite musste aber sehr scharf sein. Wie es zerlegt wurde, haben die Hausfrauen bestimmt, also die Teile in Vorder- oder Hinterschinken. Die Lende, die man heute im Sonderangebot kaufen kann, war ein Luxusteil.

Geschlachtet wurde nur in den Wintermonaten. Kühlschränke gab es ja nicht. Erst Ende der 50er Jahre wurden hier im Taunus Gemeinschafts-Gefrieranlagen angeschafft, in denen auch größere Teile des geschlachteten Schweins aufbewahrt werden konnten. Zuvor haben wir Kotelett-Stangen ja noch an Orten aufbewahren können, die „ordentlich Durchzug“ hatten. Der Schinken kam in den Rauchfang oder die Räucherkammer. Die Wurst – Blut- und Leberwurst, der Presskopf oder Schwartemagen -wurde, in natürliche Därme gepresst, in Dosen oder Gläsern sterilisiert oder durch Räuchern haltbar gemacht. Auf jeden Fall wurde alles verwendet und auch gegessen und nicht nur die mageren Stücke. Fett war damals wie heute ein Geschmacksträger. Aber während und auch nach dem Krieg noch ein existenziell wichtiges Nahrungsmittel.

Was der Metzgermeister dazu sagt:

„Der Schinken aus dem Rauchfang“, so Rudi Dienstbach, „wurde so lange gegessen, bis der Neue reif war.“ Den „Neuen“ gab es erst beim nächsten Schlachtfest. Rudi Dienstbach aus Laubus-Eschbach ist Meister seines Fachs – das des Metzgers. Als Rentner lässt er Besucher im Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach zuschauen, mit welch‘ einfachen Instrumenten aus Fleisch einst Wurst gemacht wurde, rührt ein ums andere Mal die Kringel im Naturdarm in einem großen Kessel. 150 Leber- und Blutwürste, dazu noch 30 Bratwürstel und 15 bis 20 Pressköpfe rechnet der Metzgermeister vor, können aus einem der Nachkommen von Eber Paco und einer seiner Sauen verarbeitet werden – ausschließlich für den Verkauf im Hessenpark. Mit der Hand dreht er Fleischstücke durch einen Wolf: „Das ist schon historisch. Zuhause geht das längst elektrisch.“

Die Nachkommen von Eber Paco oder einer seiner beider Partnerinnen Pat und Patti aus der Rasse des Schwäbisch Hällischen Sattelschweins haben reichlich Auslauf auf der Hofanlage aus Niedergemünden – mindestens für ein Jahr. Ihre Ferkelkollegen nicht geschützter Rassen trifft das Ende zumeist bereits im Alter von sechs Monaten.

Neben dem einzigartigen Fleisch – „mit einem hohem natürlichen Fettanteil und hervorragendem Geschmack – erhalte die Wurst aus den Nachkommen von Paco und Pat oder Patti als Zutaten nur Pfeffer, Salz, Majoran, Muskat und andere Gewürzen. Deren Zusammensetzung und Dosierung sind Geheimnis des Metzgers – einst wie heute. Eines versichert Rudi Dienstbach: Die Leber- und Blutwürste oder der Presskopf sind ohne Konservierungsstoffe und ohne jeglichen chemischen Zusatz hergestellt.

Eine Hausschlachtung darf aber auch Rudi Dienstbach schon lange nicht mehr vornehmen. Da haben Europäische Richtlinien einen Riegel vorgeschoben. War bei den Hausschlachtungen die Sicht eines Fleischbeschauers und eine sogenannte Trichinenschau ausreichend, um die geschlachteten Tiere für den Verkauf beziehungsweise den Verzehr freizugeben, fordert die EU-Richtlinie 93/119/EG heute, dass „Fleisch, das für den Genuss von Menschen bestimmt ist, (muss) stets in zugelassenen Schlachthöfen gewonnen worden sein.“

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Paco ist eines von bundesweit 200 eingetragenen Zuchttieren der deutschen Sattelschweine, einer „extrem gefährdeten Haustierart“. „Er hat mit seinen Partnerinnen Pat und Patti im vergangenen Jahr in zwei Würfen – einer pro Sau – mehr als ein Dutzend Nachkommen gezeugt“, sagt Pierre Schmidt.

Der 27-jährige ist Landwirt im Hessenpark. Nicht nur die Kostproben der Würste auf deftigem Bauernbrot gehen beim Info-Tag „Von der Sau zur Worscht“ im Dezember schnell über den improvisierten Verkaufstresen. Wie einst bei der originalen Hausschlachtung sind sie auch im Kringel zu haben. Der Weilbacher freut sich über das große Interesse, kann er doch den Besuchern den Unterschied zwischen artgerechter und Massentierhaltung nahebringen.

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Sicher auch am Sonntag wieder, wenn die Besucher bei ihm und Rudi Dienstbach mehr erfahren, wie es bei einer Hausschlachtung zuging – und das die in Werbeprospekten angepriesenen „Großen Schlachtfeste“ nichts mit dem einstigen Festtag auf dem Dorf zu tun haben.

Unter dem Motto „Allerlei Schwein“ gibt es außerdem ab 15 Uhr eine Schauspielführung.

www.hessenpark.de

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