Als Mr. Woodstock in Gießen war
Von Jörg-Peter Schmidt
Joe Cocker in Konzerten erlebt zu haben, „ist ein kostbares Geschenk“, meint Landbote-Autor Jörg-Peter Schmidt, der den Sänger mit der eindrucksvollen und charakteristischen Stimme in Gießen gehört und gesehen hat.
Erinnerung an Joe Cocker
Zahlreiche Nachrufe sind verfasst worden, seitdem Joe Cocker in der Nacht zum 22. Dezember im Alter von 70 Jahren gestorben ist. Sicherlich wird der Tod des Briten mit dieser einzigartigen Stimme geschäftstüchtig vermarktet: Es ist davon auszugehen, dass „bisher unveröffentlichte Aufnahmen entdeckt“ und in vorerst „limitierter Auflage“ mit „bisher unbekanntem Fotomaterial“ aufwändig gestaltet verkauft werden. Dagegen kann sich der gelernte Gasinstallateur aus Sheffield jetzt nicht mehr wehren.
Ich durfte zwei Mal life erleben, wie Cocker seine Fans begeistern konnte: das erste Mal 1983 auf der Loreley und dann 1989 bei seinem Festival-Auftritt im Gießener Waldstadion, wo er bereits 1987 aufgetreten war. Am 24. Juni 1989 sang er in Gießen auch „With a Little Help from My Friends“, der Song, der ihn in die Welt-Öffentlichkeit hievte. Sein populärster Hit brachte im aber nicht nur Glück. Davon soll in den nächsten Zeilen die Rede sein.
Es hat mich immer gestört, dass viele Menschen, wenn sie über den Woodstock-Auftritt Cockers sprechen, in erster Linie an seine bizzare Gestik denken und nicht an sein stimmliches Können, als er mit seiner Version des von Ringo Starr gesungenen Titels 1969 bei dem berühmtesten Festival aller Zeiten überraschte. Bei den „Beatles“ ist „With a Little Help from My Friends“ eine eingängige Melodie zum Mitsingen und zu später Stunde auch zum Mitschunkeln.
Eine musikalische Explosion
Daraus machte Joe Cocker, ohne den Song zu zerstören und die „Fab four“ zu diskreditieren, eine musikalische Explosion mit ungeheurer Wucht. In Woodstock (und auch beispielsweise 1989 in Gießen) riss er mit dieser Cover-Nummer sein Publikum unweigerlich mit. Man wurde musikalisch mitgenommen auf einer Achterbahn-Fahrt, die scheinbar unaufhaltsam im Düsenjäger-Tempo in den luftleeren Raum führte: Im Schlingerkurs wechselten die Stilrichtungen zwischen Blues-, Rock- und Soul-Rhythmen; am Ende des Songs waren Leadsänger plus Begleitband und die Zuhörer erschöpft, regelrecht platt, aber happy.
Und von was reden die Leute abschätzig, wenn es um Woodstock geht? Dass „Cocker, so bekifft wie er wohl war, wie ein Irrer herumgezappelt hat“. In der Tat zuckte er während der acht Minuten seiner „Beatles“-Version bei dem Festival, als hätten in Stromschläge getroffen. Das machte ihn in den Augen auch so mancher seiner Bewunderer zeitlebens irgendwie zu einem liebenswerten Narren.
Vielleicht war dies einer der Gründe, warum er sich in den Siebziger Jahren erst mal von Drogen herunterziehen ließ. Aber er hat sich dann erholt und uns unvergessliche Songs wie „You are so beautiful“ oder „Up where we belong“ (im Duett mit Jennifer Warnes) geschenkt – seinen Klassiker, den er 2013 bei einem großem Konzert in der Lanxess Arena in Köln noch einmal sang, während tausende von Lichtern glühten. Keiner ahnte wohl damals, dass es einer seiner letzten Auftritte werden würde. Ihn in Konzerten erlebt zu haben, ist um so mehr ein kostbares Geschenk: Diese tolle Erinnerung kann einem keiner mehr nehmen.