Datenschutz wird ausgehebelt
Erneut sorgt ein internationales Abkommen für politischen Wirbel. Das internationale Dienstleistungsabkommen „Trade in Services Agreement“ , kurz TiSA, gefährde den Schutz persönlicher Daten beim Transfer zwischen Staaten, die die Organisation „Netzpolitik.org“. Das beweise ein geleakter Verhandlungsstand den „Netzpolitik.org“ in Zusammenarbeit mit Associated Whistleblowing Press und ihrer lokalen, spanischen Plattform filtrala.org jetzt veröffentlichte. Demnach würden europäische und deutsche Datenschutzbestimmungen ausgehebelt. Im Juni hat Wikileaks bereits ein Kapitel aus den TiSA-Dokumentenentwürfen veröffentlicht, das sich im Wesentlichen mit der Deregulation des Finanzsektors beschäftigt.
TiSA gefährdet persönliche Daten
Laut Netzpolitik.org gibt es folgende Passage im Vertragstext: „Kein Unterzeichner darf einen Diensteanbieter eines anderen Unterzeichners daran hindern, Informationen zu übertragen, auf sie zuzugreifen, sie zu verarbeiten oder zu speichern. Das schließt persönliche Daten mit ein, wenn der Vorgang in Zusammenhang mit der Ausführung der Geschäfte des Diensteanbieters steht. Betrachtet man dann, wie beispielsweise US-Telekommunikationsanbieter mit den amerikanischen Geheimdiensten kooperieren, braucht es nur wenig Phantasie, um sich vorzustellen, was auch mit den Daten europäischer Kunden passieren wird. Europäische Datenschutzbestimmungen würden damit weitgehend ausgehöhlt.“
Bereits im Juni hatte die Süddeutsche Zeitung (SZ) enthüllt, dass Tisa Finanzkonzernen den Datentransfer erlauben soll und dadurch womöglich Kontodaten europäischer Bürger in die USA oder woanders hin abfließen könnten. Die nun veröffentlichten Vertragsdokumente legen laut SZ nahe, dass der Transfer allen Dienstleistungsfirmen möglich sein soll. „Das ist ein klarer Bruch der Datenschutzgesetzgebung, die wir seit 1995 in Europa haben“, kritisiert der grüne EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht gegenüber Süddeutsche.de. „Diese Gesetze sind Teil der EU-Verträge und der Grundrechtecharta, die damit ausgehöhlt würden“. Der Grünen EU-Abgeordnete Michel Reimon beklagt, die US-Regierung versuche Unternehmen davon zu befreien, dass sie in den Ländern einen Firmensitz haben müssen, in denen sie einen Dienstleistung erbringen. Reimon: „Auch US-Internet-Konzerne bräuchten also keinerlei Niederlassung in der Europäischen Union mehr und würden damit auch nicht mehr den EU-Gesetzen unterliegen.“
KOMMENTAR
Freier Handel – Profitmaximierung ohne Hemmung
Von Anton J. Seib
TTIP, CETA, TiSA – Kürzel, die bis vor wenigen Monaten selbst politisch Interessierte in Deutschland kaum kannten; die erst nach und nach Gegenstand des öffentlichen Diskurses wurden; die mittlerweile in Parteien, Gewerkschaften, der Kulturszene und selbst in den Kirchen Widerspruch auslösen; und die dank der vielen Nicht-Regierungsorganisationen inzwischen von hunderttausenden von Bürgern in Europa abgelehnt werden. Denn hinter diesen Kürzeln verbirgt sich ein Angriff auf unsere demokratische Gesellschaft.
Freier Handel, freie Dienstleistungen, das – so stellt sich immer mehr heraus – wird bedeuten: Die global agierenden Konzerne befreien sich auch von den Fesseln nationaler Gesetzgebungen und Standards auf den Sektoren, Umwelt, Kultur, Soziales oder Gesundheit. Und will eine Gesellschaft den Konzernen aus guten Gründen dennoch Fesseln anlegen, sollen private Schiedsgerichte Staaten zu Schadenersatzleistungen verdonnern können. Kommen TTIP, CETA, TiSA – und es gibt noch weitere Abkommen, die derzeit verhandelt werden – dann droht den demokratisch verfassten Gesellschaften die klammheimliche Machtübernahme durch Konzerne und Finanzmärkte.
Unsere Gesellschaft wird nicht durch Islamisten oder Rechtsextremisten bedroht. Die Bedrohung kommt aus den Konzernzentralen von Monsanto, Pfizer, Nestlé; von den Ölmultis Exxon und Shell; von den Rüstungsschmieden Lockheed Martin oder Krauss-Maffei-Wegmann; von Vattenfall und Gazprom; von Apple und Google; General Electric und Novartis; von IBM und Procter & Gamble. Für sie sind Umweltschutzauflagen, Gesundheitsschutz, Tarifverträge, Mitbestimmung Handelshemmnisse, die überwunden werden müssen. Freihandel – das ist für sie die Freiheit der Konzerne, ohne Hemmungen, ohne Rücksicht auf die Interessen von Millionen von Menschen Profite maximieren zu können. Das steckt hinter TTIP, CETA oder TiSA. Und immer mehr Menschen begreifen das. Und wehren sich. Und das ist gut so.