Nabu kritisiert staatliche Waldbewirtschaftung
Der hessische Staatswald ist „zu jung, zu dünn und zu nackig“, kritisiert der Naturschutzbund (Nabu) Hessen anlässlich der Öko-Zertifizierung von neun staatlichen Forstämtern in Mittelhessen und Rhein-Main.
Bäume sollen älter werden
Im kommenden Jahr soll der Staatswald in den Landkreisen Gießen, Lahn-Dill, Limburg-Weilburg, Marburg-Biedenkopf, Main-Kinzig, Offenbach, Vogelsberg und Wettau nach dem FSC-Standard zertifiziert werden, teilt der Nabu mit. FSC ist die Abkürzung von Forest Stewardship Council, das ist ein internationales Zertifizierungssystem für die Waldwirtschaft. Es sichert die ökologischen Funktionen des Waldes und schützt vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen.
In den zur Zertifizierung anstehenden Staatswäldern würden Bäume zu früh gefällt und ganze Bestände viel zu schnell abgeräumt, kritisiert der Nabu. Buchen würden schon mit 140 Jahren geschlagen, obwohl sie 300 Jahre alt werden könnten. „Die zweite Lebenshälfte fehlt in unseren Wäldern fast völlig und mit ihr all die Arten, die in und auf alten Bäumen leben“, stellt Mark Harthun fest, Biologe beim Nabu Hessen.Die Landesregierung müsse die FSC-Verpflichtung zur Einrichtung von Naturwäldern mit einer Mindesgröße von 100 Hektar auf fünf Prozent der Waldfläche einhalten, fordert der Naturschutzbund. Nur 0,6 Prozent des hessischen Staatswalds seien noch wertvolle Buchenbestände, die älter als 180 Jahre sind.
Nabu will „beeindruckende Baumriesen“
„Nackig“ seien viele Wälder, die als „Altholzbestände“ aufgeführt würden. Auf diesen weitgehend abgeernteten Flächen seien in Wirklichkeit nur noch 20 bis 30 Prozent alter Bäume vorhanden. „Zu dünn“ sei der Wald, da nur knapp ein Prozent des Holzvorrates aus Bäumen mit einem Durchmesser von mehr als 90 Zentimetern bestehe. Der Nabu
wünscht sich „beeindruckende Baumriesen, die mit den Nestern großer Vögel wie Schwarzstorch, Rotmilan oder Wespenbussard den Waldspaziergang zum unvergesslichen Naturerlebnis geraten lassen. Bäume, die Spechten eine Heimstatt geben und in deren Höhlen Nachmieter wie Haselmäuse, Siebenschläfer oder Fledermäuse ihre Jungen großziehen können. Und die sogar nach ihrem Umfallen noch ein attraktives Baumhöhlen-Quartier für die scheue Wildkatze bieten.“
Der Nabu fordert, die Ernte reifer Bäume über einige Jahrzehnte zu strecken, um möglichst lange den Charakter alter Wälder zu erhalten und einige Bäume stämmig werden zu lassen. Erreichen ließe sich dies durch eine Vorgabe, innerhalb von zehn Jahren nur maximal 30 Prozent des Holzvorrates zu ernten. Das werde im Staatswald von Baden-Württemberg praktiziert. Bei der Vermarktung müsse das Besondere an alten Bäumen herausgestellt werden: Nur in alten Bäumen bilde sich das rötliche und grobgemaserte Kernbuchenholz heraus, das Möbeln ein besonderes Ambiente verleihe.
In den Staatswäldern gebe es viel zu wenig wertvolle Altbäume. In FSC-zertifizierten Wäldern müssten mindestens zehn „Habitatbäume“ pro Hektar ausgewiesen werden. Das sind gekennzeichnete Bäume, die uralt werden dürfen und damit vielen seltenen Tier- und Pilzarten Unterschlupf bieten. „Bislang sieht Hessen-Forst in einer Naturschutzleitlinie nur 0,5 solcher Bäume pro Hektar vor“, kritisiert Harthun.
Einen „großen Schritt zur Verbesserung des Wald-Naturschutzes“ sieht der Nabu in der Vorgabe des Öko-Siegels, Naturwaldflächen mit einer Mindestgröße von jeweils 100 Hektar einzurichten. Zwar habe das Land im vergangenen Jahr rund 3000 nutzungsfreie „Kernflächen“ benannt, davon seien jedoch mehr als die Hälfte gerade mal zwei bis drei Fußballfelder groß. „Mit solchen kaum sichtbaren Kleinstflächen ist effektiver Naturschutz nicht zu machen“, erklärt Harthun.