Ausstellungen in Gießen und Bad Homburg
Von Ursula Wöll
Ausstellungen zur Natur haben Konjunktur: In der Gießener Kunsthalle sind Kohlezeichnungen und Fotografien von Juul Kraijer (Foto rechts mit Schlange) zum Verhältnis Natur und Mensch zu sehen. In Bad Homburg im Museum Sinclair-Haus der Altana-Kulturstiftung wird die Ausstellung „Verzweigt! Der Baum in der zeitgenössischen Kunst“ gezeigt.
Baum und Mensch
Der Prophet gilt nichts im eigenen Land, schon gar nicht, wenn er in dem trotz Universität etwas provinziellen Gießen agiert. Auch ich hatte mich vor allem auf die Museen in Frankfurt konzentriert und die Ausstellungen der Gießener Kunsthalle im Rathaus am Berliner Platz nur flüchtig zur Kenntnis genommen. Ein endlich erkanntes Vorurteil, für das ich in Sack und Asche gehe! Denn als ich kürzlich einen gründlichen Blick in die bis zum 1. Februar laufende Schau „Juul Kraijer“ warf, war ich sofort
hingerissen. Von der 1970 geborenen niederländischen Künstlerin Juul Kraijer hatte ich zwar noch nie gehört, aber ihre großformatigen Kohlezeichnungen und Fotografien fesselten mich augenblicklich. Das Thema der Ausstellung ist das Verhältnis von Mensch und Natur. Zuerst ins Auge fiel mir eine schemenhafte Frauengestalt in Lebensgröße, die von allerhand rankenden Wurzeln und Ästen eingehüllt ist. Es machte Klick: Da war doch so eine Geschichte in der griechischen Mythologie: Daphne wird von dem verliebten Apoll verfolgt und bittet ihren Vater, sie in einen Olivenbaum, nein in einen Lorbeerbaum zu verwandeln, um den Avancen zu entgehen. Der Mythos zeigt, dass selbst unter Göttern Liebe nicht immer gegenseitig ist, vor allem aber die schon im Altertum begriffene enge Nähe von Mensch und Baum. Der Mensch ist „nur“ eine Kreatur unter den vielen anderen der ihn umgebenden Natur. Wäre sonst eine solche Metamorphose vorstellbar?
Auch die Fotografien der Künstlerin zeigen einen symbiotischen Bezug zwischen Mensch und Pflanzen oder Tieren. Sie legt etwa ein Geflecht aus Zweigen über ein Gesicht, das quasi die verzweigten Adern unter der Haut sichtbar macht. Auf einer anderen Fotografie umrahmt eine Pythonschlange ein gar nicht erschrockenes Frauengesicht. Die Assoziation zu Medusa, auf deren Haupt sich Schlangen ringeln, drängt sich zuerst auf. Doch hat Juul Kraijer wohl eher an Eva im Paradies gedacht? Die von ihr fotografierte Schlange scheint der Frau gewogen. Und den Rat der Schlange an Eva im biblischen Mythos, vom Baum der Erkenntnis zu essen, interpretiere ich als hilfreichen Hinweis. Immer nur Paradies, wäre das nicht ein wenig fade? Alle Exponate lassen ganz unterschiedliche Assoziationen und Interpretationen zu, und so sollte es in der Kunst auch sein.
Natur immer öfter Ausstellungsthema
Je mehr uns die Natur abhanden kommt, desto häufiger ist sie in aller Munde. Sogar die Werbung instrumentalisiert den Begriff zwecks Konsumsteigerung. Und es scheint einen Trend zu geben, die Natur vermehrt zum Thema von Ausstellungen zu machen. Das begann vielleicht schon mit den 7000 Eichen, die Joseph Beuys 1982 auf der Documenta 7 in ganz Kassel pflanzte. Dieser Künstler war der Tümelei absolut unverdächtig, und er durfte Bert Brecht ins Unrecht setzen. Dessen Gedicht „An die Nachgeborenen“, das ein Gespräch über Bäume als Verbrechen definiert, weil es Wichtigeres zu besprechen gäbe, war 1939 sicher angebracht. Heute wird ein Gespräch über Bäume zur Pflicht.
Nach Giessen fahre ich also nach Bad Homburg ins renommierte ‚Museum Sinclair-Haus‘ der Altana-Kulturstiftung, wo bis zum 22. Februar die Ausstellung „Verzweigt! Der Baum in der zeitgenössischen Kunst“ zu sehen ist. Viele berühmte KünstlerInnen sind vertreten, wenn auch, wie im Falle Gerhard Richter, oft nur mit einem Kleinformat. Oder wie Anselm Kiefer mit einem frühen Aquarellchen von 1971, das eine Schneelandschaft skizziert. Auch Joseph Beuys ist vertreten, mit einer Baumskizze auf bräunlichem Papier. Sie stammt von 1946/47, als es vielleicht noch an gutem Papier mangelte. Wenn das Museum interpretiert, Beuys hätte auf den Wert des Papiers hinweisen wollen, das ja aus Zellstoff entsteht und dieser aus Bäumen, so scheint das vielleicht ein wenig weit hergeholt. Aber auch diese Ausstellung bietet die Möglichkeit, seine Assoziationen lustvoll ins Kraut schießen zu lassen, und das ist gut so.
Im Hof werden die BesucherInnen von der angemalten Bronze-Skulptur „Nature Girl “
empfangen. Die britische Künstlerin Laura Ford hat ein Stück Stamm auf Kinderbeine in roten Lackschuhen gesetzt, Aststumpen symbolisieren Kopf und Arme. Ob wir es hier ebenfalls mit der in einen Baum verwandelten Daphne zu tun haben? Die Skulptur soll wohl eher an Märchen erinnern, die ja vor allem von Kindern geliebt werden und in denen es von Bäumen wimmelt. Der Wald im Märchen wirkt oft bedrohlich, der auf den Exponaten durch künstlerische Verfremdung eher geheimnisvoll. So auch die Videoarbeit von Christoph Brech, der mehrmals in einer Eichenallee auf- und abfuhr und die Aufnahmen der Baumkronen überlagerte. Unterlegt ist der Film mit ebenfalls überlagerter Musik von Gustav Mahler. Nimmt man allerdings den Titel „German Oak“ hinzu, wirkt die auf die Betrachter einstürzende Baumfülle auch bedrohlich. Denn die Eiche ist historisch konnotiert mit allerhand kriegerischen Handlungen. Dieses Odium haben die Zypressen von Ulrich Erben nicht. Er hat sie oben und unten durch den Bildrand abgeschnitten, doch unser Bildgedächtnis identifiziert sie mühelos als Bäume.
Zwei Arbeiten machte ich aus, die das kreatürliche Verhältnis von Mensch und Baum deutlicher ins Gesellschaftliche verlängern. Einmal die fragile Skulptur „Mother Dying II“ aus Draht, Tape und Papier von Tobias Rehberger, die nicht nur das ewige Stirb und Werde darstellt, sondern trotz ihrer künstlichen Anmut vielleicht auch die immer steriler und uniformer werdende Natur. Diese materialisiert sich etwa in Palmölplantagen, die anstelle der Regenwälder wachsen oder in unseren fantasielosen Vorgärten. Eine weitere Arbeit mit dem Titel „Three Seasons“, ist als Triptychon gestaltet, und zwar sind die drei Bäume gänzlich aus gefalteten Dollarscheinen modelliert. Die aus der sakralen Tradition überlieferte Form des Triptychons könnte unterstreichen, dass Natur heute mit Geld, dem wahren Gott, zu tun hat und der profitablen Vernichtung ausgeliefert ist.
Dieser Aspekt ihrer Gefährdung, die sich hierzulande durch Zubetonierung von Flächen und in den Tropen durch Rodung der Regenwälder zeigt, kommt mir in beiden Ausstellungen ein wenig zu kurz. Die ursprüngliche Schönheit von Natur wird im Kinofilm „Das Geheimnis der Bäume“ gefeiert. Die Organisation „Rettet den Regenwald eV.“ verkauft ihn für 10,50 Euro als DVD. Er kann per E-Mail unter info@regenwald.org bestellt werden.
Nach all der Fantasiearbeit im Museum erhole ich mich unter einem realen Baum. Gleich 50 Meter gegenüber, im Schlosspark Bad Homburg, steht seit 200 Jahren die berühmte Libanon-Zeder mit einem Kronendurchmesser von nun über 35 Metern. Hier ist Berühren erwünscht, hier werden alle Sinne zugleich und unmittelbar angesprochen. Unter den bis zur Erde reichenden Ästen fühle ich mich geborgen und beschützt wie in einer Höhle.
Öffnungszeiten und Begleitprogramm: www.kunsthalle-giessen.de und www.altana-kulturstiftung.de
Hallo Ursula Wöll,
ich danke für den Bericht. Er macht mich neugierig, rührt mich an und motiviert mich, beide Ausstellungen zu besuchen. Dank auch für den Hinweis auf die Libanon-Zeder. Ich begrüße sie seit Jahrzehnten bei jedem Besuch im Bad Homburger Schloss oder nach einer Visite im Sinclair-Haus.
Grüße von Peter Gwiasda
Hallo Ursula,
Ihren Beitrag finde ich vortreflich, vor allem auch deshalb, weil so manches zum weiteren Nachdenken anregt (Instrumentalisierung der Natur, Zunahme der Monokulturen u.a.). Vielen Dank!
Herzlichen Gruß
Gerd Ehrmann