Die Räuber vom Amt in der NS-Zeit
Von Klaus Nissen
Alles ganz legal: Noch bevor Ihr Gehalt auf dem Konto landet, schnappt sich das Finanzamt ein Drittel davon und gibt es Ihnen niemals wieder. Aber das reicht den staatlichen Geldeintreibern nicht: Von jedem Euro, den Sie für eine Ware oder Dienstleistung ausgeben, kassiert das Finanzamt sieben bis 19 Cent als Umsatzsteuer. Das mag Sie ärgern – aber es bringt Sie nicht um. In der NS-Zeit waren die Finanzämter bei der Ausplünderung der Juden ganz vorn dabei, zeigt eine Ausstellung im Bad Vilbeler Kurhaus.
Finanzämter plündern Juden aus
Nehmen wir die Familie Eckstein: Der Kaufmann Berthold Eckstein lebte mit Ehefrau Berta, den Kindern Gisela und Norbert in der Friedberger Judengasse 9. Im November 1938 steckten örtliche Nazis nicht nur die am Ende der Gasse stehende Synagoge in Brand – sie plünderten auch das Haus der Familie Eckstein. Den Schaden mussten die Ecksteins selber zahlen. Berthold Eckstein wurde gezwungen, bei der Giessener Baufirma Faber & Schnepp für 51 Pfennig pro Stunde zu schuften.
Zugleich musste die Familie ein Viertel ihrer Ersparnisse als „Judenvermögensabgabe“ an den Staat zahlen. Im ganzen Reich raubte er so rund zwei Milliarden Mark von der jüdischen Bevölkerung, sagt Gundi Mohr. Die Steuerfahnderin vom Finanzamt Frankfurt I weiß es genau, denn seit Ende der Achtziger Jahre recherchiert sie in den Kellern ihrer Behörde und in den Staatsarchiven die Details des staatlichen Raubzuges vor 80 Jahren.
Im September 1942 nahm der Staat der Familie auch die Möbel und das Haus. Die Ecksteins wurden mit vielen anderen Juden wochenlang bei Wassersuppe in die Darmstädter Liebigschule gesperrt. Dort nahm man ihnen die letzten Wertsachen ab. Ein Gestapo-Mann gab später zu Protokoll: „Was an Ort und Stelle verwertbar war, haben die Beamten unter sich verteilt.“
Während die Ecksteins nach Auschwitz gebracht wurden, machte daheim in Friedberg das Finanzamt Hausrat und Möbel der Ecksteins zu Geld. Es wurde vor Ort versteigert, der Erlös floss in die Staatskasse. Das Haus ging an die Stadt Friedberg. Die Tochter Gisela Eckstein mochte dort nicht mehr leben, als sie nach dem Krieg als einzige Überlebende ihrer Familie zurückkehrte. Sie wanderte in die USA aus.
Ausgeplündert und ermordet
Auch die Familie Rosenthal aus Groß-Karben ist vom Friedberger Finanzamt ausgeplündert worden. Der 1944 in Theresienstadt ermordete Ziegenhändler Moritz Rosenthal musste sein Haus an der Heldenberger Straße 3 der Gemeinde überlassen. Den Hausrat versteigerte das Finanzamt für 438 Reichsmark. Allein in Frankfurt organisierte das dortige Finanzamt mehr als 10 000 Versteigerungen von Möbeln aus jüdischen Haushalten. Davon habe er bisher noch nie gehört, gesteht Bernd-Uwe Rieger – der jetzige Vorsteher des Friedberger Finanzamtes. Seinen Vorvorgängern im Amt habe doch bewusst sein müssen, dass diese Juden-Ausplünderung zumindest moralisch Unrecht sei. Und dagegen steht den Beamten seit jeher das Remonstrations- (Beschwerde-)Recht zu. Allerdings: „Wenn ich damals remonstriert hätte, wäre ich wohl auch in Theresienstadt gelandet“ vermutet der heutige Behördenchef.
Das mag sein, meint Bettina Leder-Hindemith vom Hessischen Rundfunk, die sich ebenfalls seit langem mit dem Raubzug der Finanzbehörden in der NS-Zeit befasst. Doch wenn ein Finanzbeamter damals einfach gekündigt hätte, wäre ihm wohl nichts geschehen. „Wir hätten gern einen kleinen Helden in der Ausstellung gehabt“, bekennt Bettina Leder-Hindemith. Doch man habe unter den vielen Finanzbeamten keinen gefunden, der sich damals auch nur passiv der „Aktion 3“ widersetzte. So lautete das Deckwort für die amtliche Ausplünderung der deutschen Juden. Der spätere hessische Finanzminister Karl Starzacher hat dieses dunkle Kapitel aus der Vergangenheit seines Ressorts dokumentieren lassen. Er meint: „Sehr viele haben gewusst oder haben wissen können, was tatsächlich vor sich ging. Und nicht wenige haben von der Vertreibung der Juden profitiert.“
Bis zum 30. November ist die Ausstellung „Leghalisierter Raub – Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen“ im Kurhaus an der Niddastraße 1 in Bad Vilbel zu sehen. Die Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 17 – 19 Uhr, Samstag 11 – 16 Uhr, Sonntag 12 – 17 Uhr. Dort kann man unter anderem im nachgebauten Zimmer eines Finanzbeamten in Aktenordnern blättern: Sie enthalten unter anderem Vermögenslisten, die Juden vor der Deportation ausfüllen mussten.
Im Internet gibt es Details zur Ausstellung auf www.fritz-bauer-institut.de. Sie soll 2013 auch in Rüsselsheim, Flörsheim und Michelstadt gezeigt werden.
Weitere Veranstaltungen: Ein Interviewfilm von Claus Kunzmann über die Geschichte der Bad Vilbeler Familie Lapp ist am Dienstag, 18. November ab 19.30 Uhr in der Alten Mühle an der Lohstraße 13 in Bad Vilbel zu sehen.
Die Westend-Synagoge an der Freiherr-vom-Stein-Straße 30 in Frankfurt kann man am 20. November ab 17 Uhr besichtigen.
Am 21. November ab 19 Uhr stellen sich im Groß-Karbener Schlosshof Leonhardi die Initiative Opferdenkmal Oberursel, die Projektgrupe „Jüdisches Leben in Frankfurt“ und die Initiative „Stolpersteine in Karben“ vor.
Ein Dokumentarfilm über Klärchen Kirschberg aus Burg-Gräfenrode, die sich mit einem Kindertranspoert nach England retten konnte, ist am 23. November ab 11 Uhr im Karbener Kino an der Robert-Bosch-Straße 62 zu sehen.
Die Lebenserinnerungen des jüdischen Bad Vilbelers Rafael Zur sind bei einer Lesung am 24. November ab 19 Uhr im Gemeindezentrum der Christuskirche am Grünen Weg 4 in Bad Vilbel zu hören.
Am 25. November ab 19.30 Uhr berichtet Monica Kingreen im Bad Vilbeler Kurhaus über jüdisches Alltagsleben in Hessen vor dem Holocaust. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.