Nissens Woche – die fünfundvierzigste
Diesmal mit dem Fokus auf Unappetitliches, Automobilität und Nahversorgung. Auf dem Schreibtisch hat sich ein Haufen angesammelt. Die Bögen, die ich um dieses Möbelstück machte, wurden zu Beginn der Woche immer enger. Mir fielen keine Ausflüchte mehr ein. Ich wurde vier Tage lang sesshaft und erledigte den dringendsten Papier- und Computerkram. Das brachte am Ende doch ein gutes Gefühl. Schließlich musste ich trotzdem raus. Und da passierte es.
Nudeln auf dem Gehsteig
Am Mittwoch zum Partyservice, der einen Mittagstisch für Männer anbietet. Ich hatte Lust auf leckere Rindsrouladen. Große Enttäuschung: Es gab leider nur Burger mit Pommes. Immerhin lernte ich dabei Jonas kennen, einen aufgeweckten Achtjährigen, der gerade mit seinem geilen Traktor-Tretmobil Essen holte und mir stolz alle Einzelheiten seines Gefährts erklärte. Am Donnerstag auf dem Weg zum Arzt sprach mich eine alte Dame an, die gerade schlecht gelaunt die Gasse vor ihrem Haus fegte. Sie zeigte auf einen Matschfleck aus Nudeln und Soße. Ihre Nachbarn hätten das Essen einfach aus dem Fenster geworfen. „Ich mach das NICHT weg!“ sagte die alte Dame. „Stellen Sie sich vor, Sie wären auf dem Weg zum Nahkauf. Und da fliegen Ihnen die Nudeln auf den Kopf!!“
Keine schöne Vorstellung. Zum Glück war gerade keiner auf dem Bürgersteig unterwegs, denn in unserem Dorf läuft man normalerweise nicht herum, sondern man fährt Auto. Auch zum Nahkauf. Ich geh da gerne hin. Die meisten Wöllstädter fahren aber lieber nach Friedberg, Rosbach oder Rodheim. Denn unser Nahkauf hat weder Creme Fraiche noch Oliven oder ähnliches neumodisches Zeug. Von guter Rasierseife ganz zu schweigen. Überdies ist es schöner, drei Kilometer statt nur 150 Meter mit dem Auto zu fahren. Im Nachbardorf Nieder-Wöllstadt gibt es deshalb überhaupt keine Supermärkte mehr – obwohl dort 4014 Menschen leben. In den leeren Läden hopsen nun Fitness-Fans.
Nichts gegen Fitness. Momentan sitze ich aber lieber am Weißenhäuser Strand zwischen Kiel und Lübeck, weil da Bob Mould, Owls by Nature und Gisbert zu Knyphausen nette Musik machen. Herzliche Grüße und schade, dass Sie nicht dabei sein können. Wir sehen uns auch nicht im Zug.
Lieber Klaus Nissen,
auch gute Geschichten verlieren, wenn sie nicht zu Ende erzählt werden. Was ist nun mit den Nudeln auf dem Bürgersteig in Wöllstadt geschehen? Wurden sie restlos entfernt, von den Schuhen der Passanten atomisiert, von den Vögeln gepickt, oder liegen sie immer noch provokant auf dem Trottoir?
Auch zum Himmel schreiende Belanglosigkeiten haben einen Wert an sich.
Ob ich jemals die Wahrheit erfahre..?
fragt sich Peter Gwiasda