Der Tattoo-Trick

 

Warum Busfahren viel spannender ist, als im Auto herumzukurven

Nissens Woche – die vierundvierzigste

Klaus

Wer sich nur mit dem Auto durchs Land bewegt, verpasst eine Menge. Er gleitet im Komfortpanzer durchs Land, hört hr3, riecht nicht die Gülle auf den Feldern und sieht nicht mal die toten Igel und Katzen am Fahrbahnrand. Ich bin momentan viel per Bus unterwegs – das hat was. Es bringt Spannung in den Alltag. Und ich lerne interessante Menschen kennen.

Am Mittwoch zum Beispiel im Bus FB 04 von Altenstadt nach Friedberg: Eine hübsche blonde junge Frau sitzt jenseits des Mittelgangs. In Mockstadt steigt ein Junge ein, den das Mädchen kennt. Er ist hübsch, hat ein sympathisches Gesicht und dichte dunkle Locken. Sein einziger Makel: Unter dem linken Auge sitzt ein großes schwarzes Mal, dass an einen Vogel mit ausgebreiteten Flügeln erinnert. Es scheint neu zu sein.

„Was hast du da? Was ist das?!“ fragt die junge Frau.

„Ein Tattoo.“

„Was? Ein Tattoo – im Gesicht?“ Spinnst du?!“

„Ich find`s geil. Ist aber noch ein Vor-Tattoo. Die Frau im Tattoo-Laden sagte mir, ich soll erstmal damit einen Monat lang rumlaufen um zu sehen, ob ich das wirklich will.“

„Bist du verrückt? Im Gesicht? Was soll das denn sein?“

„Siehst du doch. Ich find`s geil. Hauptsache, im Gesicht. Ich bin eben ein verrückter Spast.“

„Das würde ich nie machen!“ befindet die junge Frau und lacht. Und dann, nachdenklich: „Im Gesicht …. Wenn überhaupt dann höchstens eine Träne oder ein Delphin. Aber doch nicht so was!!“

Der Junge lacht. „Jetzt bist du aber drauf reingefallen, oder? Ich würde mir doch nie das Gesicht tätowieren lassen. Aber so ein Vor-Tattoo, das hat was. Siehst du, damit hab ich dich zum Lachen gebracht.“

Ich schalte mein linkes Ohr ab und denke: Hut ab. Von dem Kerl kannst du noch etwas lernen. Aber die jungen Leute steigen in Ossenheim aus, und ich muss bald darauf in den Bus 07 wechseln. Da setzt sich mir ein Mann gegenüber, der mich anschaut. „Na, kommst du von der Arbeit?“

Damit hab ich nicht gerechnet. Antworte einfach nicht, doch der nett aussehende Typ lässt nicht locker: „Wo fährst du denn hin? Wo wohnst du?“

„In Wöllstadt. Und du?“

„In Friedberg. Aber meine Freundin wohnt in Bad Nauheim. Wohnst du alleine?“

Wieder bin ich baff und will nicht antworten. Wackle hilflos mit dem Kopf.

„Hast du eine Frau?“ fragt er. „Ich schätze ja mal, du bist so alt wie ich, ungefähr Mitte vierzig?“

Geschmeichelt nicke ich. Er hat sich um 14 Jahre vertan. Ich kann ihm noch entlocken, dass er gerade auf dem Heimweg von einer Tagesstätte für Leute mit Betreuungsbedarf ist. Ein ausgewachsener Mann mit dem Gemüt eines Achtjährigen. Warum denn nicht? Gut gelaunt warte ich an der Friedberger Straßenmeisterei auf den Bus 05, der mich endgültig nach Hause bringen soll.

Es ist hier ja nicht wie in Nepal, wo jüngere Menschen aus Platzmangel auf dem Bus-Dach reisen müssen. Bild: Nissen

Es ist hier ja nicht wie in Nepal, wo jüngere Menschen aus Platzmangel auf dem Bus-Dach reisen müssen. Bild: Nissen

Das Gute am ÖPNV ist nämlich auch: Irgendwie und irgendwann kommt man immer nach Hause. Am Freitag in Langendiebach erwischte ich zwar den Bus 564. Aber unterwegs merkte ich, dass er doch nicht nach Langenbergheim fährt, wo ich Bus 563 nach Altenstadt kapern wollte. „Sie haben Glück im Unglück“, sagte der bärtige Busfahrer, als er mich am Ende seiner Schicht als letzten Fahrgast hinten links entdeckte. „Ich setz Sie einfach auf der Heimfahrt am Büdinger Kreisel aus. An der Tankstelle fährt Bus 41 direkt nach Altenstadt.“ Gesagt, getan. Bisher dachte ich immer, dass kein einziger deutscher Busfahrer jemals außerhalb der Haltestelle Passagiere entlässt – schon aus versicherungstechnischen Gründen. Pustekuchen. Und herzlichen Dank. An dem Abend bin ich tatsächlich irgendwann nach Hause gekommen.

Ich würde gerne noch ausführen, dass die deutsche Bevölkerung nach meinen Erfahrungen aus zwei Parallelgesellschaften besteht: Busbenutzer und Autofahrer. Und was die wohl von einander unterscheidet. Und wie ätzend ich es finde, dass die Auto-Wirtschaft immer mehr Äcker und Obstwiesen vernichtet. Apropos Landraub: Dann würde ich darüber schimpfen , wie die Städte Friedberg, Bad Nauheim und viele andere immer mehr Land für den Bau klotziger Einfamilienhäuser opfern und damit aus der Landschaft einen Siedlungsbrei machen. Obwohl doch genug Platz für Wohnungsbau auf dem alten US-Kasernengelände wäre. Aber Schluss jetzt!

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