Pflegestätte der nationalsozialistischen Revolution

Der unrühmliche Teil der Geschichte der Technischen Hochschule in Friedberg

Von Bruno Rieb

Der von den Nazis verfolgte Dozent des Friedberger Polytechnikums Wilhelm Friedmann soll eine späte Würdigung erfahren, indem eine Straße nach ihm benannt wird. Das fordern Thomas Petrasch und Klaus-Dieter Rack. Die beiden haben die Geschichte der Technischen Hochschule in Friedberg geschrieben und dabei besonders deren Rolle während des Faschismus erforscht.

Friedmann war ein renommierter und beliebter Dozent am Polytechnikum. Er stammte aus Wien und hatte über die über die Holzwarth-Gasturbine für Koksofengas promoviert. 1920 war er vom jüdischen Glauben per Taufe zum evangelischen Glauben übergetreten. Am 1. Oktober 1920 trat er die Stelle des Ingenieur-Mathematikers am Polytechnikum in Friedberg an. Seine Lehrtätigkeit erweiterte sich in den folgenden Jahren. Neben Mathematik unterrichtete er in seinem Spezialgebiet Maschinenbau. Er unterwies die Studierenden auch in Mechanik und zeigte ihnen die Funktion von Verbrennungsmaschinen. „Bei der Studentenschaft war Dr. Friedmann sehr angesehen, vor allem wegen seiner Fachkompetenz. Dies betonten noch Ende April 1933 nationalsozialistische Mitglieder der Studentenschaft gegenüber Bürgermeister Dr. Seyd“, berichten Rack und Petrasch.

Polytechnikum Direktor Wilhelm Schäfer hatte Bürgermeister Ludwig Seyd am 31.3.1933 telefonisch darüber informiert, dass die NSDAP-Kreisleitung die Entlassung Friedmanns gefordert habe. Seyd und Schäfer setzten sich zunächst für Friedmann ein. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ schuf die NS-Regierung die Grundlage, „Nichtarier“ und politisch Missliebige ohne Begründung aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Fast unmittelbar nach Bekanntwerden des Gesetzes teilt Schäfer dem Bürgermeister mit, dass Friedmann nun zu entlassen sei. Am 18.9.1933 wurde der Dozent auf der Grundlage des neuen Gesetzes mit Wirkung zum 1.1.1934 wegen nichtarischer Abstammung vorzeitig und zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Ein Ruhegehalt wurde ihm nur bis zum 1.4.1935 gewährt. Friedmann ertrug diese Demütigung, Entwürdigung, Entrechtungen und Verfolgungen nicht: am 29.11.1936 setzte der einst so angesehene Dozent des Polytechnikums in Frankfurt seinem Leben ein Ende. Er war nur 49 Jahre alt geworden.
Seiner Witwe wurden 1951 Versorgungsbezüge zugesprochen, unter der fiktiven Annahme, dass Friedmann bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im Dienst gestanden hätte. „Es war allerdings nur ein bescheidener Ausgleich für das erlittene Unrecht, das ihrem Mann und auch ihr durch die Nationalsozialisten zugefügt wurde und das Dr. Wilhelm Friedmann 1936 in den Freitod getrieben hatte“, so Rack und Petrasch.

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Nazis bei der Einweihungsfeier des Hörsaalgebäudes im Juni 1937. (Stadtarchiv Friedberg)

 

Das Schicksal Friedmanns belegt, dass das Polytechnikum keine Insel in der braunen Flut war, wie es Rack formuliert. Die Nazis waren an der Hochschule schon früh erfolgreich. Kaum hatten sich die Macht ergriffen, wurde das Polytechnikum nach Adolf Hitler benannt. Die Umbenennung wurde am 22. Juni 1933 im voll besetzten großen Hörsaal vollzogen. Das Polytechnikum dürfe „mit Fug und Recht als eine Pflegestätte der nationalsozialistischen Revolution angesehen werden“, schwärmte Friedbergs Bürgermeister Seyd.

1929 war eine Hochschulgruppe des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes gegründet worden. Bei der Wahl zum Allgemeinen Studentenausschuss im Juli 1930 erreichte er 25 Prozent der Sitze. In der Reichspogromnacht im November 1938, als im ganzen Land jüdische Gotteshäuser in Flammen aufgingen, jüdische Geschäfte geplündert und die Wohnungen von Juden demoliert wurden, zogen auch Studenten des Hitler-Polytechnikums mit dem Mob durch Friedberg und verwüsteten Wohnungen. Der Friedberger Historiker Hans-Helmut Hoos behauptet laut Petrasch, dass es Studenten des Polytechnikums gewesen seien, die die Synagoge angezündet haben. Das lasse sich aber nicht belegen, betont Petrasch. Trotz intensiver Recherchen habe er keine Beweise dafür gefunden. Petrasch: „In den Protokollen der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchgeführten Untersuchungen werden Studierende als Brandstifter nicht erwähnt. Nicht belegbare Behauptungen sind unwissenschaftlich und müssen widersprochen werden.“

Petrasch ist Diplom-Ingenieur und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Technischen Hochschule Mittelhessen. Klaus-Dieter Rack ist kommissarischer Leiter des Hessischen Staatsarchivs in Darmstadt und gehört der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen an. Ihre Geschichte der Fachhochschule ist im außerschulischen Exil erschienen: beim Friedberger Geschichtsverein als Band 62 der Wetterauer Geschichtsblätter. Der Geschichtsverein hat sich vielfach um die Erforschung der Nazizeit in der Wetterauer Kreisstadt verdient gemacht. Die Hochschule hatte abgewunken. Wir schauen in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit, habe die Hochschulleitung gesagt, berichtet Petrasch.

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Thomas Petrasch, Klaus-Dieter Rack: Von der Gewerbe-Akademie zur Technischen Hochschule – Friedberger Hochschulhistorie (1901-2011), Wetterauer Geschichtsblätter, Band 62, 206 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN 978-3-87076-115-8, 19,80 Euro.

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