Zum 70. Todestag des Widerstandkämpfers
Die Hinrichtung des Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialsmus Adolf Reichwein jährt sich am Montag, 20. Oktober 2014, zum 70. Mal. Mit einer Gedenkfeier erinnert die Stadt Rosbach an diesem Tag an den bedeutenden Bürger ihrer Stadt.
Gedenken an Adolf Reichwein
Geboren wurde Adolf Reichwein, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, 1898 in Bad Ems. Doch Kindheit und Jugend verbrachte der am 20. Oktober 1944 hingerichtete Sohn des in Rosbach tätigen Lehrers und Organisten Gottfried Karl Reichwein in der Wetterau. Zu seinem 70. Todestag hat die Stadt Rosbach den Reichwein-Kenner Professor Dr. Eugen Ernst eingeladen, über die „jungen Jahre“ des weitgereisten Reformpädagogen und Kulturpolitikers zu sprechen. Die öffentliche Feierstunde beginnt um 19 Uhr in dem nach Adolf-Reichwein benannten Bürgerhaus. Mehr über die Stationen seines weiteren Lebenswegs…
Die Verhandlung im Saal des Kammergerichts am Volksgerichtshof in Berlin-Schöneberg am 20. Oktober 1944 begann um 8 Uhr. Auf der Anklagebank vier Männer: Hermann Maaß, Julius Leber, Dahrendorf und Adolf Reichwein. Der Name des Vorsitzenden Richters: Roland Freisler. Nicht einmal acht Stunden später waren zwei der Männer tot. Um 15.40 Uhr wurden Adolf Reichwein und Hermann Maaß in der Strafanstalt Berlin-Plötzensee durch den Strang hingerichtet. Die Nationalsozialisten hatten einmal mehr kurzen Prozess mit Menschen gemacht, die im Widerstand gegen die NS-Diktatur aktiv waren.
Adolf Reichwein – Wer war der Mann, dessen Namen zahlreiche Schulen unter anderem in Friedberg und Neu-Anspach, der Campus der Universität Siegen, ein Schiff im Deutschen Meeresmuseum in Stralsund, zahlreiche Straßen und nicht zuletzt das Bürgerhaus in Rosbach tragen?
Pädagoge, Reformer, Widerstandskämpfer
Adolf Reichwein, geboren, 1898 in Bad Ems, aufgewachsen in Ober-Rosbach im heutigen Wetteraukreis, war Pädagoge, Kulturpolitiker, Reformer, Autor, SPD-Politiker, Humanist, Demokrat , Widerstandskämpfer, Vater von vier Kindern und auch ein Abenteuer, ob zu Lande in der Luft oder auf einem Schiff.
Im Jahre 1904 ziehen seine Eltern von Bad Ems nach Ober-Rosbach. Der Vater Karl Gottfried wird Lehrer an der einklassigen Volksschule des Ortes und Organist in der nahegelegenen Kirche. Adolf Reichwein, obgleich sein Schüler, unterstützt den von der Pädagogik Pestalozzis überzeugten Vater schon früh. Früh auch, im Alter von acht Jahren, lernt er die Wandervogel-Bewegung kennen, wird Leiter der Friedberger Gruppe, die sich in ihrem „Nest“ in der dortigen Burg trifft. Die Jugendlichen unternehmen Reisen nach Holland und Helgoland – und das im ersten Kriegsjahr 1914. Adolf Reichwein meldet sich als Freiwilliger, doch er wird abgelehnt. Da ist er noch zu jung – zwei Jahre später nicht mehr. 1916 beginnt er eine „Kriegsausbildung“, wird am 16. November 1917 eingezogen. Als Gefreiter ist er zunächst im Einsatz in Polen, dann in der Champagne in Frankreich. Als Gefreiter und Anführer eines Stoßtrupps wird er drei Wochen später schwer verwundet.
Als Kriegsgeschädigter kehrt Reichwein in seine Heimat zurück, beginnt an der Universität in Frankfurt ein „studium generale“ und stellt schon bald fest, dass für ein besseres Leben nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland dringend soziale Reformen notwendig sind. Sein Entschluss: Er will sich der (Erwachsenen-)Bildung widmen. 1921 legt der Mann, der zwei Jahre zuvor noch im Ober-Rosbacher Bergwerk arbeitete, die mündliche Doktorprüfung an der Universität Marburg zu seinem Thema „China und Europa im 18. Jahrhundert“ ab. Zugleich arbeitet er als Autor an der Zeitschrift „Vivos Voco“ von Hermann Hesse. Vier Jahre später wird er Leiter der Volkshochschule Jena.
Statt vielen Vorträgen zu lauschen, diskutieren die Teilnehmer dort vermehrt in kleinen Gruppen über das Genossenschaftswesen oder die Wirtschaftsdemokratie. Was Reichwein vermitteln will: die Einheit von Arbeit und Leben, von Lernen und Erlernen. Eine Maxime, die er auch als Leiter des Wohnheims „Am Beuthenberg“, wo er mit jungen Arbeitern zusammen lebt, verficht.
Eine Abenteuerreise
Doch das Jahr 1926 ist auch ein Jahr der Abenteuer für ihn. In einem umgebauten Ford Modell T fährt er von der Ost- zur Westküste in Nordamerika. Nach einer Tour durch Westkanada und Alaska heuert er auf einem Passagierschiff an, das ihn nach China, Japan und auf die Philippinen bringt. Eine Abenteuerreise, verglichen mit seinem „Hungermarsch durch Lappland“, den er zwei Jahre später mit jungen Arbeitslosen unternahm und literarisch in seinem gleichnamigen Buch verarbeitet, muss sie fast schon komfortabel gewesen sein.
Auf den jungen Wissenschaftler aus Deutschland ist die Abraham-Lincoln-Stiftung aufmerksam geworden. Sie fördert den Mann aus dem Hessischen als „Scout“. Zurück von seiner Weltreise wird Reichwein Leiter der Pressestelle des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, zwei Jahre später Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der Pädagogischen Akademie Halle. Im selben Jahr, 1930, tritt Reichwein in die SPD ein.
1933, im Jahr der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, wird er aus dem Lehrbetrieb in Halle entlassen. Reichwein entscheidet sich, nach Tiefensee bei Berlin zu gehen und dort – wie sein Vater einst – eine einklassige Landschule zu übernehmen. 30 Jungen und Mädchen, die er nach seiner Maxime „Lernen durch Erleben“ zu Wanderungen und Werksbesichtigungen mitnimmt oder zum Schlittschuhlaufen, einem damals noch kaum verbreiteten Sport, anleitet. 1937 schreibt er sein Werk „Schaffendes Schulvolk“, in dem er die Lehrinhalte an einem Sommerkreis (Natur- und Weltkunde als Schwerpunkte) und einen Winterkreis (Der Mensch als Gestalter und in seiner Landschaft) einteilt.
Die Jungen und Mädchen lernen in Gruppen, fächerübergreifend. Bereits zu dieser Zeit setzt der Reformpädagoge als einer der ersten auf das Medium Film im Unterricht, wirkt selbst an mehreren Produktionen der Reichsanstalt Berlin für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht mit. Reichwein möchte seinen Schülerinnen und Schülern einen „Lebenskompass“ mitgeben, der durch Selbstbestimmtheit und soziales Verantwortungsgefühl geprägt wird.
Humanist im inhumanen Land
„Adolf Reichwein konnte diese humanistisch grundierte Arbeit in einem inhumanen Land nur deshalb erfolgreich entwickeln, weil er entsprechende formale Zugeständnisse an verordnete NS-Rituale einhielt und einhalten musste, zum Beispiel den Einritt in den NS-Deutschen Lehrerbund“, heißt es auf der Homepage der Volkshochschule Halle, die heute seinen Namen trägt. „Die Sprache seiner mit der Volkskunde verbundenen Texte kann heutige Leser durchaus irritieren, da sie viele völkische Begriffe enthält, die in der deutschen lebensreformerischen und kulturkritischen Volksbildungsbewegung üblich waren, im Gegensatz zur nationalsozialistischen Sprache aber keinen rassistischen Hintergrund hatten“, lässt der Adolf-Reichwein-Verein wissen.
So kann Reichwein 1938 noch zu einer Vortragsreise nach England aufbrechen, wo er über das „Ländliche Erziehungswesen in Deutschland“ referiert und selbst im ersten Kriegsjahr als Museumspädagoge im Staatlichen Museum für deutsche Volkskunde in Berlin arbeiten. Doch seine humanistische Grundhaltung und seine späteren „Reise“-Erfahrungen an die Front verstärken in ihm die Überzeugung, dass es in der „Entscheidung keine Umwege gibt“.
Die Entscheidung des Sozialdemokraten: Sich dem Kreisauer Kreis um die beiden fortschrittlichen Adeligen Helmut James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg anzuschließen, die auch Kontakt zum Hitler-Attentäter Graf Schenck von Stauffenberg (Attentat am 20. Juli 1944) unterhalten. Ihr Ziel: der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Krieg ein Ende zu bereiten und Deutschland nach dem Ende des „Dritten Reiches“ zu reformieren. Als möglicher Kulturminister vorgesehen: Adolf Reichwein.
Die Geschichte eines Verrats
Doch es folgt die Geschichte eines Verrats, der für den Widerstandskämpfer den Tod bedeutet. Als sich Adolf Reichwein und sein Mitstreiter im Kreisauer Kreis, Julius Leber, Ende Juni 1944 mit Vertretern der „Operativen Leitung“ der Kommunistischen Partei Deutschlands treffen, ist unter diesen auch der Gestapo-Spitzel Ernst Rambow. Zu einer zweiten Zusammenkunft unter anderem mit den Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jacob, die zur größten deutschen illegalen Widerstandsgruppe gehörten, kommt es nicht mehr: Am 4. Juli 1944 wird Adolf Reichwein verhaftet. Drei Monate ist er in Haft der Folter der Nazi-Schergen ausgesetzt – bis zum 20. Oktober 1944, dem Tag seines Prozesses, dem Tag seiner Hinrichtung.