Merkwürdiges am Hessischen Landboten

Ein kopfstehendes t und das Geheimnis des Fragezeichens

Von Anton J. SeibFlyer

Der Bad Vilbeler Forscher Klaus Kroner hat bei seiner Beschäftigung mit dem Hessischen Landboten eine Reihe von Merkwürdigkeiten entdeckt. In der letzten Folge über den Hessischen Landboten und seine Verfasser Georg Büchner und Friedrich Ludwig Weidig berichten wir über Kroners Erkenntnisse. Morgen, Samstag, 4. Oktober 2014, begibt sich die Redaktion des Wetterauer Landboten auf die Spuren des Hessenischen Landboten. Wer möchte, kann mitkommen (siehe Außenspalte).

Merkwürdiges am Hessischen Landboten

Klaus Kroner hatte sich ein Mammutprojekt vorgenommen. 15 Jahre hatte er maßgeblich in der Grafischen Werkstatt für Technik und Kunst in Offenbach mitgearbeitet. Dann stand der Trägerverein vor dem Aus. Es fehlte an Mitstreitern. Doch vor der Auflösung des Vereins sollte ein letztes großes Werk zu Ende gebracht werden. Kroner arbeitete an einem Faksimile-Druck der berühmten Flugschrift „Der Hessische Landboten“, die im Sommer 1834, so die gängige Meinung, von Carl Preller in der Offenbacher Druckerei Brede gedruckt und daraufhin in Oberhessen verteilt worden war. Klaus Kroner hat sein Ziel erreicht, der Nachdruck des Landboten ist bereits im Büchner-Jahr 2013 erschienen. Doch das ist nur das eine sichtbare Ergebnis der akribischen Forschungsarbeit von Klaus Kroner. Denn bei seiner Beschäftigung mit dem Thema fielen dem gelernten Drucker eine Reihe merkwürdiger Phänomene auf. Mit fast kriminalistischer Akribie tauchte tief ein in die Materie und kommt zu dem Schluss: Der Hessische Landbote ist nicht in der Druckerei Brede hergestellt worden. Vermutlich nutzte Preller eine mobile Handpresse.

Druckerpresse
Am 5. Juli 1834, einem Samstag, bringen Georg Büchner und sein Freund und Mitstreiter Jakob Friedrich Schütz das von Weidig bearbeitete Manuskript von Butzbach nach Offenbach zum Drucker Carl Preller. Der Fußmarsch ist als Botanisierausflug getarnt, das Manuskript steckt in einer Botanisiertrommel. Die konspirative Tour dauert mehrere Tage. Nach einigen Zwischenstationen übernachten sie laut Verhörprotokollen am darauffolgenden Dienstag in Offenbach. Büchner reist anschließend zurück nach Gießen. Schütz weiter nach Mainz oder Frankfurt. So genau weiß man das nicht, wie so vieles aus dieser Zeit.

Fehlerhafter Landbote steckt in Gerichtsakte

Als Kroner mit der Arbeit am Faksimile-Druck begann, lag ihm eines der wenigen erhaltenen Originale des Hessischen Landboten vor. Es stammte aus dem Staatsarchiv Marburg, war 14,5 mal 23,5 Zentimeter groß. Das Exemplar aus handgeschöpftem Papier war in eine Gerichtsakte eingeheftet. Und dann kam die „totale Überraschung“, wie sich Kroner erinnert. Schon die erste Seite enthielt einige Fehler. „Der Slogan war falsch geschrieben. Dort stand: Friede den Hütten! Krieg den Pallästen!“, so Kroner. Richtig hätte es Paläste heißen müssen. Im weiteren Text war bei der Ortsbezeichnung Darmstadt das t auf den Kopf gestellt. Die Addition der abgepressten Steuern ist falsch, und dann war auch noch die Paginierung durcheinander geraten. 1,3,4,2 lauteten die Seitenangaben, aber die Abfolge der Textseiten stimmt.

Diese Fehlerhäufung machte den gewieften Jünger der schwarzen Kunst stutzig. „So etwas passiert keinem Fachmann. Diese Fehler müssen einen anderen Hintergrund haben.“ Kroners Vermutung: „Da hat jemand versucht von sich abzulenken. Es sollte bewusst dilettantisch aussehen, um die Behörden in die Irre zu führen, wenn ihnen die Flugschrift in die Hände fallen sollte.“ Und das scheint auch gewirkt zu haben. „Es gibt in den Akten Vermerke, die darauf deuten, dass die Behörden tatsächlich von dilettantischen Druckern ausgingen.“

„Krieg den Palästen“ mit Fragezeichen

Und noch etwas war auffällig. Hinter der zweiten Zeile „Krieg den Pallästen“ entdeckte Kroner einen doppelten Wortzwischenraum vor dem Ausrufezeichen, obwohl ein einfacher richtig gewesen wäre. „Diese freie Fläche hat mich von Anfang an interessiert“, erinnert sich Kroner. „Ich dachte mir: Da stimmt doch was nicht!“

Der Fall wurde immer mysteriöser. Im Zug der Digitalisierung des Landboten bekam er ein weiteres Original der Flugschrift in die Hand. Es stammt aus dem Bayerischen Haupt- und Staatsarchiv in München. Und wieder war der Slogan auffällig. Denn hinter „Krieg den Pallästen“ stand in diesem Exemplar ein Fragezeichen. Und da machte es Klick bei Klaus Kroner. Offensichtlich gibt es mehrere Druckversionen des Landboten. Eine mit Fragezeichen – diese Letter benötigt den Platz eines doppelten Wortzwischenraums – und eine mit Ausrufezeichen, das im Bleisatz wesentlich schmaler geschnitten ist. Der so frei gewordene Raum wurde Leerzeichen gefüllt, was dem Auge des gelernten Druckers natürlich aufgefallen war.

„Die Entdeckung des Fragezeichens wirft Fragen auf“, so Kroner. „Hat Weidig mit dem Fragezeichen die radikale Wortgewalt von Georg Büchner liberalisieren wollen und ist dies Ausdruck ihrer schwierigen Zusammenarbeit? Hat der Drucker mit seiner Typografie die Gefahr des Hochverrats abschwächen wollen und wurden die Exemplare mit Fragezeichen nur im Bereich des Deutschen Bundes in Frankfurt und Umgebung verteilt?“ Kroner hat seine eigene Vermutung: „Ich gehe davon aus, dass Büchner den Drucker anwies, das zu ändern.“ Denn in der Literatur gebe es Hinweise auf Korrekturbögen.

Tatsächlich in Frankfurt gedruckt?

Bleibt allein die spannende Frage zu beantworten, wer denn nun die weltberühmte Flugschrift tatsächlich gedruckt hat. „Das ist aus Sicherheitsgründen nie und nimmer im Betrieb von Preller gedruckt worden. Er war viel zu bekannt “, sagt der Bad Vilbeler Forscher. Also schaute er sich noch einmal die verwendete Schrift genau an und stellte fest, dass es sich um die gleichen Typen handelt, wie sie in einer Ausgabe von 1835 von Büchners Drama „Dantons Tod“ verwendet wurden. Kroner: „In der Preller’schen Druckerei gab es diese Schrift nachweislich nicht.“ Wohl aber bei der Frankfurter Druckerei Sauerländer. Und auch die mäßige Druckqualität lässt den Schluss zu, dass der Landbote nicht auf Prellers hochwertigen Stanhope-Presse, die damals neu auf dem Markt war, gedruckt worden war. Kroner: „Ich gehe davon aus, dass der Landbote auf einer tragbaren Presse gedruckt wurde, möglicherweise in Frankfurt.“

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