Die Brüder Sadinam berichten

Wie es sich anfühlt, unerwünscht zu seinSadinam

Von Klaus Nissen

Die Brüder Sadinam wissen, wie es sich anfühlt, als Asylbewerber im völlig fremden Deutschland zu leben. Sie schrieben darüber ein Buch mit dem Titel „Unerwünscht“.  In Friedberg erfuhr der Landbote mehr von den jetzt im Odenwald lebenden Studenten.

Die Brüder Sadinam berichten

Familie Sadinam hatte noch Glück. Sie musste aus dem Iran nach Deutschland fliehen. Aber die Mutter konnte 1996 mit ihren zwölf und neun Jahre alten Söhnen für 15 000 Dollar illegal per Flugzeug nach Deutschland einreisen. „Wir mussten nicht mit dem Schiff übers Mittelmeer“, sagt der inzwischen 30-jährige Mojtaba Sadinam. „Deswegen waren wir bei unserer Ankunft nicht traumatisiert.“ Danach kam die für Asylbewerber übliche Härte: Anträge, Ablehnungen, Sprachprobleme, extreme Armut, schlechte Unterkünfte. Ungewissheit und Gerichtsverfahren, bis der Aufenthalt in Deutschland sicher war. 1996 war die Mutter mit ihren Söhnen  geflohen. 2012 wurden sie deutsche Staatsbürger. Wie es dazu kam, erzählten Mojtaba und sein Zwillingsbruder  Masoud zum Schluss der Interkulturellen Woche im Friedberger Jugendzentrum.

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Mojtaba (links) und Masoud Sadinam. (Foto: Klaus Nissen)

 Familie auseinandergerissen

Das regierungskritische Ehepaar Sadinam hatte sich seit den Achtzigerjahren vor der Polizei in Teheran versteckt. Die Flucht gelang zuerst der Mutter und den drei Söhnen –  der Vater brauchte noch zwei Jahre, um weitere 15000 Dollar für den Schlepper aufzutreiben. Er schaffte es zwar bis nach Deutschland, aber die Familie wuchs nicht mehr zusammen. Vater Sadinam landete in einem Flüchtlingslager in  Zwickau, während die Mutter mit den Söhnen in Lengerich bei Münster einquartiert wurde. Und Reisen durch Deutschland sind Asylbewerbern verboten. Im Amtsdeutsch heißt das „Residenzpflicht“.

Anfangs sei man völlig naiv gewesen, so Mojtaba Sadinam. „Wir haben dem deutschen Staat vertraut. Zum ersten Gespräch mit der Ausländerbehörde gingen wir  ohne Anwalt.“ Als Dolmetscher habe kein Iraner, sondern ein Afghane fungiert. Noch heute sei die Verfahrensweise bei den wichtigen Erstgesprächen katastrophal, findet Mojtaba Sadinam. Es mangle an guten Übersetzern. Leicht könnten aus Verständigungsproblemen widersprüchliche Aussagen ins Protokoll kommen, die für das weitere Asylverfahren üble Folgen haben. „Gut wäre bei diesen Gesprächen ein Tonbandmitschnitt zur Beweissicherung“, findet Mojtaba Sadinam.

Asylantrag abgelehnt

Der Asylantrag der Familie wurde abgelehnt. Sie legte Widerspruch ein. Bis zur mündlichen Verhandlung darüber musste sie ein Jahr warten. Wieder eine Ablehnung, wieder eine Berufung. Bis zum Europäischen Gerichtshof wanderte das Verfahren. Die Ungewissheit sei kaum zu ertragen, erzählte Mojtaba Sadinam den rund 20 Zuhörern im Jugendzentrum. „Es war, als ob wir die ganze Zeit durch ein Gewirr enger Gassen rannten. Und jede Tür, an die wir rüttelten, blieb verschlossen.“  Diesen Eindruck linderte auch nicht das von den Sadinams geschilderte Engagement vieler freiwilliger Helfer und der hilfreichen Sozialarbeiterin Christa. Es ist bedrohlich, wenn der Staat feindselig wird. Masoud Sadinam schilderte einen Termin in der Ausländerbehörde. Die Amtsleiterin forderte von der Mutter, sie soll schriftlich in die freiwillige Ausreise einwilligen. Die Amtsleiterin sagte: „Unsere Aufgabe ist es, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen.“ Doch die Mutter weigerte sich. Die Behörde konterte mit Schikanen: Die Sadinams wurden fortan nur für sieben Tage in Deutschland geduldet und mussten sich wöchentlich im Amt melden. Die Mutter musste ihre mit viel Mühe erkämpfte Ausbildung zur Krankenschwester abbrechen. Sie versuchte dann, sich umzubringen. „Das ist keine Erpressung des Staates“, findet ihr Sohn Masoud. Wenn einem alles genommen werde, bleibe nur der eigene Körper als Werkzeug zum Überleben.

Auf dieser fragilen Basis lebte die Familie viele Jahre. Die Brüder lernten Deutsch, kamen aufs Gymnasium und machten Abitur. Der jüngste, Milad, lebt heute als Informatiker in Essen. Die Mutter hat es geschafft, Krankenschwester zu werden. Mojtaba studierte an einer Elite-Uni des Metro-Gründers Otto Beisheim in Vallendar und bereitet sich jetzt mit seinem Zwilligsbruder Masoud auf die Promotion im Fach Geschichte vor. Alle wurden 2012 eingebürgert und sind jetzt Deutsche. Aber die Erfahrung, unerwünscht zu sein – die bleibt.

Die Brüder Sadinam berichten – das Buch

Mojtaba, Masoud und Milad Sadinam: Unerwünscht. Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte. Bloomsbury Verlag, Berlin, 144 Seiten, 16,99 Euro. ISBN: 978-3-8270-1079-7

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