Büchner, poetischer Revolutionär

Pflichtlektüre georg-buechner

Von Corinna Willführ

Der Wetterauer Landbote erinnert an den Hessischen Landboten. Im zweiten Teil unserer Serie stellen wir Georg Büchner vor, Mitautor des Hessischen Landboten. Und am 4. Oktober begeben wir uns mit drei Führungen und einer Radtour auf die Spuren des Hessischen Landboten und seiner Protagonisten.

„Ein Proletarier der geistigen Arbeit“

Der jährlich höchst dotierte Literaturpreis der Republik – verliehen von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt – trägt seinen Namen. Im Unterricht an Gymnasien gehören seine dichterischen Werke zur Pflichtlektüre.  Auf den Bühnen der Republik reizen seine Stücke  wie „Dantons Tod“ oder der „Woyzeck“ Regisseure immer wieder zu Neuinszenierungen – gerade auf der Schaubühne in Berlin zu sehen: „Leonce und Lena“. Die von ihm verfasste Flugschrift, der „Hessische Landbote“ aus dem Jahr 1834 „Friede den Hütten/Krieg den Palästen“ ist bis heute ein Protestmanifest – das bedeutendste zwischen den Bauernkriegen und den Schriften von Karl Marx  –  wenn es um den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit geht. Dabei wurde der Mann, dessen Ideen immer noch Bestand haben, gerade einmal 23 Jahre alt. Er hieß Georg Büchner, war Naturwissenschaftler, Mediziner, Dichter und Revolutionär.

Georg Büchner wird am 17. Oktober 1813 in der Weidstraße 9 in Goddelau  –  heute ein Ortsteil der Gemeinde Riedstadt bei Darmstadt  –  als erstes Kind in den bürgerlichen Haushalt des Medizinalrates Karl Ernst Büchner und seiner Gattin Caroline geboren. Der Vater ein loyaler Napoleon-Anhänger, die Mutter eine „herzensgute Frau“ und eine Liebhaberin der Literatur der Befreiungskriege. Das Wappentier der Büchner: ein Pelikan. Der Vogel, der nach der Überlieferung seine Nachkommenschaft mit seinem eigenen Blut nährt. Wie sein Vater, wie der Großvater und viele Altvorderen mehr hätte Georg Büchner die besten Voraussetzungen gehabt, ein anerkannter Mediziner zu werden.

Buechner

Ein eifriger Schüler war der Bub aus Goddelau bereits im Alter von acht Jahren in der damals neu gegründeten „Privat-Erziehungs- und Unterrichtsanstalt“ des Theologen Carl Weitershausen in der Residenzstadt Darmstadt, in die die Familie Büchner 1816 umgezogen war. Von morgens um sieben bis nachmittags um vier Uhr wurde Georg Büchner neben Lesen und Rechnen bereits in Französisch, Latein, in Geographie und Musik unterrichtet. Oberste Erziehungsmaxime der Erziehungsanstalt: Gehorsam, Pünktlichkeit und Ordnung. Büchner war Zwölf als er an das „Pädagog“ wechselte. Ein Gymnasium, an dem der Unterricht in Latein und Griechisch 40 Prozent der Schulstunden ausmachte. Und an dem der Schüler Büchner „eine teutsche Rede“ zum „(Selbst-)Mord des Kato von Utika“ hielt. „Aus dem Vorwurf der Nichtanpassung Catos an die „Umstände“ machte er ein Lob des Widerstands“, schreibt Jan-Christoph Hauschild in seinem Beitrag „Gewisse Aussichten auf ein stürmisches Leben“ im Katalog zur Büchner-Ausstellung auf der Mathildenhöhe in Darmstadt 1987.

Büchner, poetischer Revolutionär

„Das Lob des Widerstands“ wird zum zentralen Lebensmotiv des jungen, eher schmalen Mannes mit dem skeptischen Blick, den vereinnahmenden Locken und dem oft zuckenden Mundspiel. Denn das unstete Leben Büchners beginnt bereits als Jugendlicher: im „Primarzirkel“ am „Pädagog“. Die Schülergruppe tritt für die Ideen der in Frankreich gegründeten Gesellschaft für Menschenrechte ein. Ein Einsatz, der dazu führt, dass nur Jahre später gegen Sieben von ihnen wegen „Hochverraths“ ermittelt wird.

Büchner ist zu dieser Zeit – im November 1831 im Elsass. An der Straßburger Académie beginnt er sein Medizinstudium. Mit Kommilitonen wandert er durch die Vogesen, nimmt an den Versammlungen der Studentenverbindung „Eugenia“ teil – und fällt dort als „feurig und so streng gesinnter deutscher Patriot“ auf, der energisch für seine radikalen Ansichten eintritt. Die Rückkehr in seine Heimat Deutschland fällt dem 20-Jährigen schwer, doch ist er fest entschlossen, an der Universität in Gießen seinen Doktortitel in Medizin zu machen. Sein Spezialfach: vergleichende Anatomie. An der Lahnstadt sucht die Polizei zu dieser Zeit weiter nach Beteiligten am Frankfurter Wachensturm.

Ein Aufstand, von dem der Student Büchner wusste, an dem er anders als einige seiner Darmstädter Freunde aber nicht beteiligt war. Freunde, um die Georg Büchner in steter Sorge ist, sind sie doch Teils auf der Flucht oder schlimmer: inhaftiert. Noch im Sommer 1833 sieht der Darmstädter, wie er schreibt, „jede revolutionäre Bewegung als vergebliche Unternehmung an“. Seine Konsequenz: Er widmet sich intensiv seinem Studium. Doch sein revolutionärer Geist ruht nicht. Im April 34 schreibt er an seine Familie: „Ich schämte mich, ein Knecht mit Knechten zu sein, einem vermoderten Fürstengeschlecht und einem kriechenden Staatsdiener-Aristokratismus zu gefallen.“

Es ist die Zeit, in der Büchner den führenden Kopf der liberal-demokratischen Opposition in Oberhessen kennenlernt. Sein Name: Friedrich Ludwig Weidig, sein Beruf: Rektor in Butzbach. Ihr beider Anliegen ist es, die gesellschaftlichen Verhältnisse anzuprangern. Büchner verfasst 1834 die Flugschrift „Der Hessische Landbote“, die „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ fordert. Weidig überarbeitet sie – und nimmt ihr die Schärfe der radikalen Ansichten des Studenten aus Darmstadt. Gemäßigt oder radikal: Weidig wie Büchner müssen um ihr Leben fürchten.

Die Sorge um seinen Sohn mag es wohl gewesen sein, die Karl Ernst Büchner dazu veranlasst, Georg zurück nach Darmstadt zu holen. Doch während dieser seinem Vater bei der Arbeit am Stadthospital zur Hand geht, kümmert er sich nachts, die Darmstädter Sektion der „Gesellschaft für Menschenrechte“ wieder zu aktivieren. Und er schreibt: In nur fünf Wochen entsteht „Dantons Tod“. In dem Drama thematisiert Büchner das Scheitern der Französischen Revolution, sieht in ihr ein von Anfang an sinnloses Unternehmen. Es ist Anfang 1835: Büchner soll sich in Friedberg vor dem Untersuchungsrichter einfinden. Das tut er nicht und wird fortan steckbrieflich gesucht. Seinen Häschern entkommt er durch seine Flucht nach Straßburg. In Frankreich übersetzt er für den deutschen Verlag Sauerländer Werke von Victor Hugo, arbeitet an seiner Erzählung „Lenz“ – und an seiner Dissertation. Knapp ein Jahr später stellt er seine „Abhandlung über das Nervensystem der Barbe“(eine Karpfenart, Anm. der Red.) der „Societé du Muséum d’histoire naturelle“ vor. Sie findet großen Beifall. Und Büchner schreibt weiter, an „Leonce und Lena“, einer Komödie aus dem Reich des Königs Popo, einer Satire, in der er „die abgelebte moderne Gesellschaft“ der Lächerlichkeit preisgibt.

Büchner begeht noch seinen 23. Geburtstag in Straßburg, wo er sich als geduldeter Emigrant von der Politik ferngehalten hat, um jeden Ärger mit den Behörden zu vermeiden. Einen Tag später reist er nach Zürich ab, bezieht ein spärlich möbliertes Zimmer in der heutigen Spiegelgasse. Er enthält eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate. Ein Asylverfahren läuft, parallel sein Gesuch, als Privatdozent an der Philosophischen Fakultät lehren zu dürfen. Es ist nicht Philosophie, sondern ein Kurs über vergleichende Anatomie, für den Büchner die Lehrerlaubnis erhält. Und wieder schreibt er parallel: am „Woyzeck“. Die Hauptfigur der sozialen Tragödie ist nicht fiktiv. Woyzeck war ein Bursche, den seine Armut „rettungslos ausliefert, und es ist die bis zum Extrem gesteigerte entfremdete Arbeit, die ihn erdrückt“ – und in einem „System der Ausbeutung, Unterdrückung und Entfremdung“ (Hessischer Landbote) zum Mörder werden lässt.

Doch Büchner verlassen die Kräfte. Anfang 1837 erkrankt er, kann das Bett nicht mehr verlassen. Wilhelmine Jaegle, seine Braut, die er in Straßburg kennengelernt hat, reist nach Zürich. Büchner fiebert. Am 17. Februar verschlechtert sich sein Zustand rapide. Sein Arzt diagnostiziert Typhus. Zwei Tage später, nachmittags um halb Vier, stirbt Georg Büchner. „Hätte ich in der Unabhängigkeit leben können, die der Reichthum gibt, so konnte etwas rechtes aus mir werden“, schreibt Wilhelm Schulz 1851, „aber selbst seine nächste Umgebung konnte sein baldiges Ende nicht ahnen; denn Büchner, der Proletarier der geistigen Arbeit und das Opfer derselben, hatte sich lächelnd zu Tode gearbeitet.“

Mehrere hundert Menschen begleiten den Sarg Büchners zum sogenannten Krautfriedhof der Stadt Zürich. Seine letzte Ruhestätte ist dort nicht. Als der Friedhof aufgelassen werden soll, setzt sich die deutsche Burschenschaft („mit der Büchner nichts zu tun und die er verspottet hatte“ (Peter Haffner), für die Umbettung des Toten ein. Am 4. Juli 1875 wird die neue Grabstätte für Georg Büchner eingeweiht. Sie ist hoch über der Stadt auf dem Germaniahügel beim Rigiblick.

 Abspann

Ein Denkmal für Georg Büchner steht seit dem 16. Oktober 1974 auf der Tiefgarage des Staatstheaters in Darmstadt – nach 20 Jahren Auseinandersetzung, ob den der rebellische Kopf in der einstigen konservativen Residenz denn eines Denkmals würdig sei. Im März 1975 erhielt die Plastik „Grande Disco“ (Abgüsse von ihr gibt es auch in New York und Chicago) des italienischen Bildhauers Arnaldo Pomodoro einen Zusatz. Die Tafel informiert den Betrachter, dass die Skulptur vom Land Hessen, der Stadt und den Bürgern Darmstadts finanziert wurde. „Georg Büchner braucht kein Denkmal; die Stadt und die Bürgerschaft brauchen eines, um sich seiner, ihres Mitbürgers, eindrücklich und immer wieder zu erinnern“, so Heinz Winfried Sabais, in den 50er Jahren Kulturreferent der Stadt und Streiter für das Denkmal, in seiner Einweihungsansprache.

Zwei Friedberger unter den Georg-Büchner-Preisträgern

Der Georg-Büchner-Preis wurde erstmals 1923 an den Komponisten Arnold Mendelssohn und den Schriftsteller Adam Karillon verliehen. Letzte Preisträger vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 waren 1932 der Friedberger Schriftsteller Albert H. Rausch, der seine Bücher unter dem Pseudonym Henry Benrath veröffentlichte, und der Maler Adolf Bode. Erster Preisträger nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war 1945 der Autor Hans Schiebelhuth. Ein Jahr später erhielt erneut ein Friedberger die Auszeichnung: Fritz Usinger. Einige weitere Preisträger: Heinrich Böll, Elias Canetti, Christa Wolf, Ernst Jandl.

Informationen zur Landbote-Tour finden sie hier http://www.wetterauer-landbote.de/?p=1225#more-1225

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