Der Hessische Landbote wirkt nach
Der Wetterauer Landbote erinnert an den Hessischen Landboten. Es folgt der erste Teil unserer Serie. Und am 4. Oktober begeben wir und mit drei Führungen und einer Radtour auf die Spuren des Hessischen Landboten und seiner Protagonisten.
Kampfansage an die Obrigkeit
Von Anton J. Seib
„Friede den Hütten Krieg den Palästen“ prangt in weißer Schrift auf der Rückseite der schwarzen T-Shirts. A-Sortiment. Damit wirbt die Die Hardcore-Punk-Band COR für sich.
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Die Zeiten haben sich geändert. Der Slogan hat überlebt.
Es ist eine hochspannende Zeit. In Frankreich fegt die Juli-Revolution 1830 das verhasste Adelssystem weg. Das erstarkte Bürgertum übernimmt die Macht. In Europa gärt es, selbst im trägen Deutschland rumort es. Bürgerliche Kräfte begehren auf, fordern Meinungs- und Pressefreiheit, wollen sich nicht länger von den konservativen Kräften gängeln lassen. Dazu kommen die soziale Missstände in dieser frühen Phase der Industrialisierung. Ganze Landstriche verarmen, es kommt zu Aufständen die blutig niedergeschlagen werden.
Oberhessen gehört zu den ärmsten Regionen des Großherzogtums Hessen. Die Menschen schuften und hungern. Sie sind verzweifelt. Manch einer wandert aus, sucht sein Glück in Übersee. Eltern schicken ihre Töchter als Tanzmädchen nach Amerika. Oder sie verdingen sich als Landfahrer, die in Frankreich und England Fliegenwedel verkaufen. Die Not ist groß im Land.
Mitunter machen die Menschen ihrer Verzweiflung Luft. Etwas 1830: Im Hanauer Land bewaffnen sich Bauern und Tagelöhner, ziehen marodierend durchs Land, zerstören Steuerämter, ziehen weiter Richtung Norden. Im Wetterau-Dorf Södel beendet eine Militär-Trupp aus Butzbach den Marsch. Beim „Blutbad von Södel“ sterben zwei Menschen.
Im April 1833 proben bürgerliche Kräfte, darunter Burschenschafter, Akademiker, Kaufleute, Handwerker die Revolution. Mit dem Sturm auf die Frankfurter Polizeiwachen wollten sie ein Signal zum Aufstand setzen. Zu den Initiatoren gehört ein gewisser Friedrich Ludwig Weidig aus Butzbach. Weil er aber früh das Scheitern des Aufstands ahnt, versucht er die Aktion zu stoppen. Vergeblich. Der Aufstand wird niedergeschlagen, viele Verschwörer fliehen ins Ausland, 39 werden zum Tod verurteilt.
Zwei Ereignisse, die die Widersprüche, die Zerrissenheit der Gesellschaft offenbaren. Und wie Menschen versuchen, sich dagegen zu wehren. Es gärt in Hessen.
Und in dieser Zeit reist ein junger Mann nach Gießen. Er heißt Georg Büchner, ist gerade 20 Jahre alt geworden. Er kommt aus Straßburg, wo er als 18-Jähriger ein Medizinstudium begonnen und ihm der frische Wind der jungen Revolution um die Ohren geweht hatte. Er will in Gießen sein Studium fortsetzen. Dort wird er mit geistiger Engstirnigkeit und Schikanen der Obrigkeit konfrontiert – ein Schock für den angehenden Mediziner.
Über Kommilitonen lernt er Friedrich Ludwig Weidig kennen, der in der konspirativen oberhessischen Szene einer der führenden Köpfe ist und bereits einige kritische Flugschriften verfasst hat. Der Pfarrer, Lehrer und begeisterte Turner war bereits ins Visier der Polizei geraten. Er war einer der Vorbereiter des gescheiterten Wachensturms und des Hambacher Festes, hatte den „Leuchter und Beleuchter für Hessen“ verfasst, machte mit politisch-kritischen Predigten auf sich aufmerksam. Aber er ist immer noch auf freiem Fuß.
Zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Hier der systemkritische, aber eher deutsch-national denkende Lehrer und Pfarrer, da der junge Student, dem die bürgerliche Opposition nicht radikal genug war und der früh ahnt, dass die sozialen Ungleichheiten die Wurzel des gesellschaftlichen Übels sind und auf den Widerstand der Massen setzt.
„Wahrscheinlich im März 1834 macht der frühere Gießener Theologiestudent August Becker den von ihm sehr verehrten Rektor Dr. Weidig mit dem mit ihm befreundeten jungen Medizinstudenten Georg Büchner bekannt, vermutlich bei einem ersten konspirativen Treffen der Gießener, Marburger und Butzbacher Oppositionellen bei der Ruine Badenburg bei Lollar. Nach ausführlichen Diskussionen wird vorgeschlagen, dass der 21-jährige Büchner eine Flugschrift verfasst, die an die Gebildeten und die hessischen Bauern und Handwerker gerichtet sein soll“, fasst der Historiker und Leiter des Butzbacher Museums, Dr. Dieter Wolf, das Geschehen zusammen.
Büchner macht sich an die Arbeit, entwirft eine scharfe Abrechnung mit „dem Staat“, der hier in Form des Großherzogtums Hessen den Menschen gegenübertritt und die eingeleitet wird mit der legendären Kampfansage „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“. Die in aller Deutlichkeit die Verschwendungssucht der Reichen und Mächtigen anprangert. Und in der er die arme Landbevölkerung zum Umsturz aufruft. Denn ohne die Massen, das weiß Büchner, lassen sich die Eigentumsverhältnisse nicht überwinden.
Als Weidig Anfang April 1834 Büchners Manuskript in Händen hält, redigiert er es radikal. Er überarbeitet vor allem den zweiten Teil, vermutlich aus taktischen Gründen. So ersetzt er den von Büchner bewusst gewählten Begriff „Reiche“ durch „Vornehme“. Vermutlich, um wohlhabende bürgerliche Oppositionelle nicht für die Revolution zu verlieren. Büchner ist aufgebracht, will sich gar vom Projekt distanzieren. Dass er dennoch klein beigibt, hat pragmatische Gründe. Weidig ist in der konspirativen oberhessischen Szene bestens vernetzt – und er hat Kontakte zu Druckereien. Zudem sind die anderen Mitstreiter für Weidigs Änderungen. Wolf: „Die gelegentlich auftauchende Behauptung, Büchner und Weidig seien Freunde gewesen, ist wohl falsch: Hier treffen doch zwei Generationen mit unterschiedlichen Wertevorstellungen aufeinander – ein Zweckbündnis führt beide zusammen.“
Nackte Zahlen mit enormer Sprengkraft
„Im Großherzogtum Hessen sind 718,373 Einwohner, die geben an den Staat jährlich an 6,363,364 Gulden (es folgt eine exakte Aufstellung, der Verf.). Dies Geld ist der Blutzehnte, der von dem Leib des Volkes genommen wird. An 700,000 Menschen schwitzen, stöhnen und hungern dafür. Im Namen des Staates wird es erpreßt, die Presser berufen sich auf die Regierung und die Regierung sagt, das sei nötig die Ordnung im Staat zu erhalten. was ist denn nun das für gewaltiges Ding: der Staat? Wohnt eine Anzahl Menschen in einem Land und es sind Verordnungen oder Gesetze vorhanden, nach denen jeder sich richten muß, so sagt man, sie bilden einen Staat. Der Staat also sind Alle; die Ordner im Staat sind die Gesetze, durch welche das Wohl Aller gesichert wird, und die aus dem Wohl Aller hervor gehen sollen. – Seht nun, was man in dem Großherzogtum aus dem Staat gemacht hat; seht was es heißt: die Ordnung im Staate erhalten! 700,000 Menschen bezahlen dafür 6 Millionen, d.h. sie werden zu Ackergäulen und Pflugstieren gemacht, damit sie in Ordnung leben. In Ordnung leben heißt hungern und geschunden werden.“
So beginnt der Text. Haarklein rechnet der Autor vor, wie der arbeitenden Bevölkerung das Geld abgepresst wird, damit Wenige gut leben können. Das Leid der Menschen, so die Botschaft, ist nicht Gott gegeben, Ausfluss einer natürlichen Weltordnung. Nein, es ist empirisch belegbar, warum Menschen hungern, leiden, keine Chance auf ein besseres Leben haben. Das rechnet Büchner bis auf den letzten Gulden vor. Und er fordert die Menschen unmissverständlich auf, sich von diesen Ketten zu befreien. Das ist die enorme Sprengkraft des Hessischen Landboten. Die mühsamen ideologischen Legitimationsversuche „der Obrigkeit“ werden ad absurdum geführt.
Trotz der heftigen Auseinandersetzung zwischen Büchner und Weidig erscheint der „Hessische Landbote“ schließlich doch. Er bestand aus acht bedruckten Seiten im Oktav-Format in einer Auflage, die Experten auf 1200 bis 1500 Exemplare beziffern. Doch kaum ist der Landbote gedruckt, fliegt die oberhessische Opposition auf. Ausgerechnet ein Freund Weidigs, Johann Konrad Kuhl, schwärzt die Verschwörer bei den großherzoglichen Behörden an. Sein „Lohn“ dafür: 4000 Gulden. Georg Büchner warnt seine Mitstreiter, nimmt dafür mehrere anstrengende nächtliche Fußmärsche nach Offenbach, Frankfurt und zurück auf sich, eher er nach Straßburg flüchtet.1836 siedelt er nach Zürich über.
Weidig wird 1835 verhaftet, zunächst in Friedberg inhaftiert dann in das Arresthaus Darmstadt verlegt. Dort wird er verhört und gefoltert. Am 23. Februar 1837 stirbt er. Vermutlich durch eigene Hand. Vier Tage zuvor war Georg Büchner in Zürich gestorben.
Was hat der Hessische Landbote bewirkt? Unmittelbar sicher wenig. Wie viele Exemplare tatsächlich ihre Adressaten erreichten, ist nicht belegt. Immerhin waren die Schergen des Systems bereits während der Drucklegung auf den Spuren der oberhessischen Revolutionäre. Und der vermutlich von Weidig verfasste Vorbericht dürfte ängstliche Zeitgenossen eher dazu verleitet haben, die Zeitung sofort zu vernichten:
„Dieses Blatt soll dem hessischen Lande die Wahrheit melden, aber wer die Wahrheit sagt, wird gehenkt, ja sogar der, welcher die Wahrheit liest, wird durch meineidige Richter vielleicht gestraft. Darum haben die, welchen dies Blatt zukommt, folgendes zu beobachten:
Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb ihres Hauses vor der Polizei verwahren;
sie dürfen es nur an treue Freunde mitteilen;
denen, welche sie nicht trauen, wie sich selbst, dürfen sie es nur heimlich hinterlegen;
würde das Blatt dennoch bei Einem gefunden, der es gelesen hat, so muß er gestehen, daß er es eben dem Kreisrat habe bringen wollen;
wer das Blatt nicht gelesen hat, wenn man es bei ihm findet, der ist natürlich ohne Schuld.“
Aber der „Hessische Landbote“ wirkt nach. Als eines der wichtigsten Dokumente in der Geschichte sozialer Bewegungen in Deutschland. „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ ist nicht nur ein literarisches Zitat. Diese sechs Worte prangten an Holzhütten im Mörfelder Wald während der Startbahnproteste. An der Westseite der Berliner Mauer. Auf Plakaten an besetzten Häusern. Auf LP-Covern. Sie sind zum Synonym geworden für die Ungerechtigkeit unserer kapitalistisch verfassten Gesellschaft.
(Bilder: Museum Butzbach)
Links:
Der Hessische Landbote (http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-hessische-landbote-416/1)
Georg Büchner Portal (http://buechnerportal.de)
Literatur:
Butzbacher Persönlichkeiten. Dr. Friedrich Ludwig Weidig (1791 – 1837). Hrsgg. Vom Museum und Stadtarchiv Butzbach. Texte und Illustrationen von Dr. Dieter Wolf. Hier als pdf-Datei Weidig-Broschuere2014-web_001A
Büchner und Weidig und ihr Mitarbeiterkreis – Literaten und Freiheitskämpfer im oberhessischen Vormärz. Festvortrag von Museumsleiter Dr. Dieter Wolf (Butzbach) vor dem Georg-Büchner-Gymnasium Bad Vilbel, Kurhaus Bad Vilbel, am 27. Sept. 2013
Die Landbote-Tour
Georg Büchner hatte in einer Juninacht 1834 das Manuskript des Hessischen Landboten von Butzbach zum Druck nach Offenbach gebracht. Der „Wetterauer Landbote“ macht es am Samstag, 4. Oktober, umgekehrt: Er radelt von Offenbach nach Butzbach, mit Station in Friedberg. Unterwegs gibt es Führungen und Informationen zum Hessischen Landboten. In Butzbach diskutieren die Online-Journalisten am Abend über die Chancen einer Internetzeitung in der Tradition des Landboten. Hier das Programm:
10 Uhr Offenbach, Haus der Geschichte, Herrnstraße 61. Klaus Kroner, ein Landbote-Experte aus Bad Vilbel, geht der Frage nach, ob der Hessische Landbote wirklich in Offenbach gedruckt wurde. Dann radeln die sportlicheren Teilnehmer los.
14 Uhr Friedberg, Bahnhof. Führung zu dem Haus, in dem der Butzbacher Pfarrer Friedrich Ludwig Weidig, Mitverfasser des Hessischen Landboten, eingekerkert war. Und zum früheren Standort der Mohren-Apotheke (Kaiserstraße 40 /Ecke Apothekergasse, heute die Apotheke Kaiserstr.104). Damals wurde sie von Theodor Trapp betrieben, einem revolutionär gesinnten Demokraten und Freund Weidigs.
17 Uhr Butzbach, Färbgasse 16. Museumsleiter Dieter Wolf führt auf den Spuren Weidigs durch die Stadt. Um 18 Uhr folgt in einem zentral gelegenen Lokal der Feierabend-Schoppen mit einer Diskussion über die Chancen einer Internet-Zeitung in der Tradition des Hessischen Landboten.
Wer mitradeln oder an einer der Frühungen teilnehmen möcht, kann sich unter info@wetterauer-landbote.de anmelden.
ich möchte mich gerne in Friedberg anschließen