Auto und Kontokarte schwammen fort
Das Flut-Opfer Nathalie Böhm aus Wallernhausen muss noch immer im Exil wohnen. Ein Gewitter machte am 13. Juli den gut tausend Einwohner zählenden Stadtteil von Nidda zum Katastrophengegbiet.
Flutopfer kämpft mit Versicherung
Von Klaus Nissen
Es ist nicht gut, in der Untergasse zu wohnen, wenn die Flut kommt. Am 13. Juli, hat sie das Haus von Nathalie Böhm durchgespült. Binnen weniger Stunden machte ein Gewitter den gut tausend Einwohner zählenden Stadtteil von Nidda im Wetteraukreis zum Katastrophengebiet. Nathalie Böhm aus der Untergasse 2 lebt seitdem im Exil bei Butzbach. Ihr Haus ist unbewohnbar, das Auto ebenso. Sie fährt einen von Freunden geliehenen Wagen. Und kämpft mit ihrer Versicherung.
Nathalie Böhm war nicht zu Hause, als der kleine Rambach an jenem Sonntagnachmittag über die Ufer trat. Sie traf gegen 17.30 Uhr ein – da ließ die Feuerwehr sie schon nicht mehr zu ihrer Hofreite. Es sei zu gefährlich. „Als ich es dann durfte, musste ich durch knietiefes Wasser waten“, erinnert sich Nathalie Böhm. „Auf dem Hof lag altes Stroh und der Trödel, den ich in der Scheune gelagert hatte“. Die frühpensionierte Kinderkrankenschwester verdient sich ein Zubrot als Flohmarkt-Händlerin. „Mein Auto mit dem Trödel darin war weggeschwommen. Ich entdeckte es später in einer Seitengasse.“
Daheim fehlte die hintere Haustür. Im Erdgeschoss des gut 160 Jahre alten Fachwerkhauses lag eine dicke Schlammschicht, etliche Möbel aus der Küche, dem Büro, dem Bad und dem Wohnzimmer waren fortgespült. Auch das Schränkchen mit den persönlichen Papieren und der Kontokarte.
Das Wasser lief nur langsam ab, es gab zu wenige Pumpen, erzählt Nathalie Böhm einen Monat nach der Flut in ihrem Exil bei Butzbach. Sie wohnt noch immer in einem Zimmer bei Freunden, weil ein Sachverständiger das Haus in Wallernhausen für unbewohnbar erklärt hat. Es stinkt darin nach Klärschlamm und Heizöl.
Noch am Sonntagabend rief Nathalie Böhm bei ihrer Versicherung an. Am Montag würde der Großschadensbeauftragte kommen, habe ihr die Generali angekündigt. „Am Dienstag war jemand da“, erzählt Nathalie Böhm. „Er wollte meine Versicherungsunterlagen sehen.“ Und die Geburtsurkunde und die Grundbuchauszüge. Sie waren aber weggeschwommen.
Inzwischen weiß die Wallernhausenerin, dass sie auch gegen Wasserschäden von Gewitterfluten versichert ist. Fünf Tage nach dem Unglück trafen 5000 Euro als Soforthilfe auf ihrem Konto ein. „In den ersten Tagen war ich völlig blank. Die Stadtverwaltung besorgte mir Lebensmittel, und Nachbarn mussten mir mit Klamotten aushelfen. Das war mir mega-peinlich.“
Inzwischen ist die bodenständige, selbstbewusste Nathalie Böhm eher sauer. Denn die Versicherung meide seit einem Monat den Kontakt mit ihr. „Ich habe noch immer keine Schätzung des Schadens. Alles kommt nur mündlich. Es sollen mehr als 240 000 Euro sein. Davon muss ich zehn Prozent selber tragen, sagten die mir.“ Sie hat keine Ahnung, wie sie das Geld aufbringen soll. Vier Arbeiter einer von der Versicherung angeheuerten Sanierungsfirma schippten knapp zwei Wochen nach der Flut den größten Teil des Schlamms aus dem Haus. Mündlich habe die Versicherung sie angewiesen, diese Firma mit dem Herausreißen der Böden und dem Trocknen der eingeweichten Wände und Deckenbalken zu beauftragen. „Ich will das aber schriftlich haben“, insistiert Wallernhausenerin. Damit sie nicht am Ende selbst die Rechnung zahlen müsse.
Viele spenden für hessische Flutopfer
Mal trifft es Dauernheim in der Wetterau, mal Seeheim an der Bergstraße. In der Nacht zum Montag flutete ein Gewitterregen Bad Schwalbach im Taunus. Solche lokalen Starkregen kommen immer häufiger vor. Und verursachen immense Schäden. Auf 2,1 bis vier Millionen Euro schätzt der Wetterauer Kreisbeigeordnete Wolfgang Patzak allein die Wasserschäden in den Häusern von Wallernhausen. Der Niddaer Stadtteil wurde am 13. Juli von einem Gewitterregen geflutet. Mindestens weitere 700 000 Euro wird die Reparatur der ausgespülten Straßen, der kaputten Brücken und des Rambach-Ufers kosten, schätzt die Niddaer Stadträtin Ute Kohlbecher.
Wer zahlt das alles? Für Gotteslohn und ein gespendetes Mittagessern füllten mehr als 300 Freiwillige in den ersten Tagen 180 Container mit Müll und Schlamm. Die Abfuhr kostete rund 80 000 Euro aus der Stadtkasse. Mit Benefizkonzerten und Spendenbüchsen sammelten diverse Vereine aus der Umgebung seit Mitte Juli mehr als 250 000 Euro für die Flutopfer, so Ute Kohlbecher. „Im Moment gehen wir von Haustür zu Haustür und geben den Betroffenen davon 500 Euro als Soforthilfe. Am 1. September machen wir eine Bürgerversammlung und erklären genau, wie die Spenden verteilt werden.“ Es müsse dabei gerecht und transparent zugehen.
Eine freiwillige Spende verspricht auch das Land Hessen. Bis zu
25 000 Euro soll ein Fonds an Flutopfer mit nachgewiesener Bedürftigkeit auszahlen – maximal ein Drittel des bescheinigten Schadens. Ein Drittel dieser Flutspende holt sich das Land vom Kreis und der Stadt Nidda zurück. Bis Ende August können die etwa 350 Betroffene aus Wallernhausen und Umgebung noch Anträge stellen. Sie müssen nachweisen, dass sie die Schäden nicht selbst bezahlen können und dass sie unzureichend versichert sind. Bislang gingen nur zehn Entschädigungsanträge im Landratsamt ein, so Wolfgang Patzak.
Und die Versicherungen? Nass gewordenes Mobiliar und Elektrogeräte muss die Hausratversicherung ersetzen. Abgesoffene und vom Hagel verbeulte Autos kann man der Kaskoversicherung melden, erläutert der in Berlin sitzende Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV). Die Wohngebäudeversicherung zahlt, wenn ein Sturm ab Windstärke 8 die Dachziegel fortweht, Fenster oder Fassaden beschädigt. Doch bei Flutschäden an Häusern hilft nur eine zusätzliche Elementarversicherung. Die leisten sich in Zeiten des Klimawandels immer mehr Hausbesitzer. Denn bundesweit registrierten die Mitgliedsversicherungen des GDV seit 2008 pro Jahr bis zu 80 000 Hochwasserschäden, die sie mit bis zu 190 Millionen Euro pro Jahr entschädigten. Die Zahl der Elementar-Versicherungsverträge wächst pro Jahr um acht bis neun Prozent.
Allerdings versichert sich laut GDV in Hessen noch immer nur jeder fünfte hessische Haus- oder Wohnungsbesitzer gegen Hochwasser. Im benachbarten Baden-Württtemberg dagegen fast jeder.
Versicherungen schauen genau hin
Interview mit Bianca Boss, Sprecherin des Bundes der Versicherten
Versicherungen stehen angesichts zunehmender Naturkatastrophen immer mehr unter Druck. Das bekommen oft die Versicherten zu spüren. Landbote-Redakteur Anton J. Seib sprach mit Bianca Boss, Sprecherin des Bundes der Versicherten mit Sitz in Henstedt-Ulzburg.
Wetterauer Landbote: Jede Woche berichten Medien über Unwetter, Schlammlawinen, Überschwemmungen. Die Betroffenen stehen hilflos vor dem Chaos. Wie sollten sie reagieren?
Bianca Boss: Der Versicherte muss nachweisen, was kaputt oder vernichtet wurde. Daher ist es wichtig, das eigene Grundstück, das Haus, Einrichtungsgegenstände und ähnliches zu dokumentieren, bevor etwas passiert. Etwa durch Fotoaufnahmen. Sinn voll ist es auch, seine Policen zu kopieren, denn bei Überschwemmungen oder Bränden gehen oft alle Dokumente verloren. Diese Unterlagen sollte man möglichst an einem sicheren Ort, etwa einem Bankfach, deponieren. Nur so lässt sich schnell nachweisen, was versichert ist.
Und wenn etwas passiert ist?
Die Betroffenen sollten den Schaden unverzüglich ihrer Versicherung melden. Die haben das Recht, einen Sachverständigen zu schicken, der sich die Situation anschaut. Ein dringender Rat: Niemals auf eigene Faust Aufträge erteilen für Reparaturen. Gleichwohl müssen sich Geschädigte nicht von Versicherungen vorschreiben lassen, wer Aufräum- oder Reparaturarbeiten übernimmt. Das kann jeder Betroffene selbst entscheiden.
Was macht ein Überschwemmungsopfer, wenn sich die Versicherung unkooperativ zeigt oder nicht zahlen will.
Sie können sich an den Versicherungsombudsmann wenden. Das ist eine unabhängige und kostenlose Schlichtungsstelle. Und dann weiß die Versicherung, dass sie es mit einem Bürger zu tun hat, der seine Rechte kennt. Das hilft in vielen Fällen. Gibt es aber bereits einen Rechtsstreit, darf der Ombudsmann nicht mehr tätig werden. Deshalb sollten sich Geschädigte überlegen, gleich einen Rechtsanwalt einzuschalten.
Wie sind Ihre Erfahrungen in solchen Fällen?
Versicherungen schauen genau hin, was ersetzt werden muss. Bei größeren Schäden lassen sie schon mal gerne mit sich streiten. Das sind ja Wirtschaftsunternehmen, die haben natürlich ein finanzielles Interesse. Sie schauen genauer hin als früher. Und auf Versicherte können schon mal Überraschungen zukommen, etwa wenn plötzlich die Selbstbeteiligung angehoben oder die Versicherung gar gekündigt wird. Das Recht haben die Versicherungen.
Bund der Versicherten e. V.
Postfach 1153
24547 Henstedt-Ulzburg
Telefon: 04193/94222
Bund der Versicherten
Dort gibt es auch Tipps zum Thema Sturmschäden