Legal, illegal, scheißegal
Von Anton J. Seib
Ich bin ein Naturfrevler. Ich gebe es zu. Ich habe gegen Gesetze verstoßen. Also verstehen Sie das als eine Art Selbstanzeige. Damit die Welt über mich richten kann. Aber zunächst die Geschichte:
Kampf gegen Wespen
Ich sitze in meinem Arbeitszimmer und schreibe einen Artikel. Nur das leise Summen des Computers ist zu hören. Ich habe den Rollladen halb heruntergelassen, damit die Sonne sich nicht im Bildschirm spiegelt. Dann dieses seltsame Geräusch. Es klingt, als ob eine Fliege gegen die Fensterscheibe fliegt, um ins helle Freie zu gelangen.
Zunächst achte ich nicht darauf. Dann wird das Geräusch intensiver. Ich schaue nach und bemerke hinter dem Vorhang ein Häufchen auf dem Fensterbrett. Sieht aus wie Farb-, Tapeten- und Mörtelstaub. Als ich den Rollladen hochziehe, tanzt eine Wespenwolke vor dem Fenster. Und es rieseln Teile des Nestes aus dem Rollladen-Schlitz. Plötzlich blockiert der Rollo, er hat sich im Nest verfangen.
Wäre alles halb so wild – bis ich den feinen Schlitz innen am Rollokasten entdecke. Dahinter summt es: Die Krabbeltierchen haben bereits einen Angriff auf mein Büro gestartet! Panik ergreift mich und mir werden wieder jene Bilder aus der Kindheit präsent, als ich morgens inmitten eines Wespenschwarms aufwachte. Die Tierchen hatten sich durch einen Deckenbalken gefressen und waren direkt über meinem Bett ins „Freie“ gelangt. Wäre was für Hitchcock gewesen…
Feuerwehr hilft nicht
Und jetzt schon wieder! Was tun? Die Feuerwehr, Retter in der Not! Ich greife zum Hörer. Die Frau des örtlichen Feuerwehrkommandanten ist verständnisvoll, kann aber nichts machen. Ihr Mann sei nicht da, außerdem dürfe die Feuerwehr da nicht mehr helfen, sagte sie. Das bestätigt auch der Einsatzleiter, dessen Nummer sie mir gab – man weiß ja nie. Doch der gute Mann winkt ebenfalls ab. Und draußen saust das aufgebrachte Wespenvolk drohend vor meinem Bürofenster herum. Immerhin gibt mir der Feuerwehrmann die Telefonnummer der Rettungsleitstelle. Die könnten helfen, sagt er. Können sie auch, mit zwei Telefonnummern von regionalen Schädlingsbekämpfungsunternehmen.
Der erste Anruf endet in der Sprachbox und auch das zweite Unternehmen ist nicht erreichbar. Im Rollladenkasten kruschpelt es bedrohlich. Mit leicht erhobener Stimme spreche ich mein Begehr auf die Anrufbeantworter und beobachte das Schauspiel vor meinem Fenster.
Griff zum Gift
Keine Feuerwehr, keine Schädlingsbekämpfer. Also selbst ist der Mann. Mein Sohn fährt los und besorgt eine Dose Insektenspray namens Raid. Frei verkäuflich im Supermarkt. Auf der Dose sind zwei Fliegen abgebildet, die auf dem Rücken liegen und erkennbar tot die Beinchen in die Luft strecken. „Wirkt sicher und schnell“, steht auf der Dose und der Zusatz: „Frischer Duft“. Das Kleingedruckte auf der Rückseite warnt vor leichtsinnigem Umgang mit dem Spray. Essen, trinken, rauchen sollte man nicht während des Gebrauchs, so der Hinweis. Für Wasserorganismen sei das Zeug sehr gefährlich, einatmen sollte man es besser nicht und nach einem Spraystoß in die Augen – sofort ab zum Arzt! Richtig gefährlich das Zeug – aber deshalb ist das ja auch klein gedruckt.
Wir überwinden unsere Skrupel, schlagen auch den gut gemeinten Hinweis in den Wind, nicht auf Tapeten zu sprühen und mindestens einen Meter Abstand zu halten. Zunächst attackieren wir das Wespenvolk von innen durch den kleinen Schlitz in den Kasten, jagen dann in einer halsbrecherischen Aktion vom Nachbarfenster aus direkte Sprühstöße von außen in den Rollladen-Schlitz, bis sich dort ein schmaler Schaumteppich auf die Oberfläche legt. Dann schnell das Fenster wieder zu, denn die Armada macht Jagd auf uns.
Mitten in die Hektik klingelt das Telefon. Was sie für uns tun könnte, fragt eine freundliche Stimme. Sie gehört zur Mitarbeiterin einer der Schädlingsbekämpfungsfirmen, die ich angerufen hatte. Ich schildere den Fall und bitte eindringlich, uns möglichst bald zu helfen. „Kein Problem“, sagt sie. „Aber heute nicht mehr.“ Da ist es kurz nach 17 Uhr, es ist taghell, ein schöner Sommerabend wartet auf uns. Warum, frage ich. „Geht heute nicht mehr, morgen gerne.“ – „Okay, ich werde den Wespen sagen, sie sollen bis morgen warten“, antworte ich entnervt und will auflegen. „Ein Moment noch, wir haben da ein Insektenspray, hilft so was?“, frage ich. „Keine Ahnung. Wir haben Sachen, die dürfen gar nicht im freien Handel verkauft werden. Aber ob Ihr Zeug hilft…?“ Ich bedanke mich und setze unsere Aktion fort.
Kammerjäger hin, Feuerwehr her – wir haben wohl die richtige Strategie gewählt. Allmählich stürzen die armen Tierchen ab, die Wolke lichtet sich, der Verkehr zum und aus dem Nest nimmt ab. Wenn ich genau hinhöre, kann ich noch ein leises kratzendes Geräusch aus dem Kasten vernehmen. Es wird schwächer. Gegen 18 Uhr sind wir einigermaßen Herr der Lage. Sehr zum Leidwesen der Wespen.
Gegen 19 Uhr klingelt erneut das Telefon. Am Apparat der andere Schädlingsbekämpfer. Ich schildere ihm die aktuelle Lage und meine Hoffnung, dass unsere Methode gewirkt hat. „Wenn Sie weiter Probleme haben, rufen Sie mich an. Dann komme ich“, sagte der Mann in einem beruhigenden Ton. Na also, doch noch ein Fachmann mit Empathie, denke ich und beginne – immer noch in Gedanken – die Tapeten rund um das Fenster mit einem nassen Tuch abzuwischen. Mein Blick fällt durchs Fenster auf den Sims, auf dem zwischen Wabenresten die kleinen gelb-schwarz-geringelten Insekten im Todeskampf mit den Beinen rudern.
Am Abend habe ich dann gegoogelt. Gemeine Wespe, Deutsche Wespe, das ganze Programm. Ich tendiere nach Augenschein zur Gemeinen Wespe. Vielleicht irre ich auch. Sie sollen aggressiv sein. Aber: „Wespen stehen unter Naturschutz. Ohne besonderen Grund dürfen ihre Nester nicht zerstört oder entfernt werden“, lese ich auf der Internetseite des BUND Lemgo. Kein Wort darüber, was ein besonderer Grund ist. Und der Naturschutzbund (Nabu) weiß: „Wespen sind kein Grund zur Panik.“ Joa ihr Helden! Ich habe Schiss!
Und jetzt ein schlechtes Gewissen.
Also rufe ich anderntags beim Wetteraukreis an. Es gehe um Wespen und ob man ein Nest beseitigen dürfe. Wer mir da helfen könne. Ich muss da in ein Wespennest gestochen haben, denn die behördliche Recherche dauert 48 Stunden. Kann ich drüber lachen, es ging ja nur noch um rein sachliche Informationen, nicht mehr um Leben und Tod – für die Wespen.
Also, sagt der Pressesprecher, Wespen dürfen nicht getötet werden. Sie sind geschützt. Wer zuwider handelt, kann mit einem Bußgeld belegt werden. Aber, sagt er, bauen Wespen etwa in einem Rollladenkasten ein Nest, dann sei das etwas anderes. Wegen der Gefahr, vielleicht für Kinder und so. Ob er meinen Seufzer gehört hat, weiß ich nicht. Mir geht es jetzt etwas besser.
Und als ich bei meiner Recherche später auch noch mit einem anderen Behördenvertreter spreche – Ehrenwort, ich verrate nicht wer es war – fasst er das Problem pragmatisch lebensnah in folgenden Satz. „Ja, es ist verboten. Aber in so einem Fall? Einfach machen!“
§ 39 Bundesnaturschutzgesetz
Allgemeiner Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen; Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen
(1) Es ist verboten,
1.
1. wild lebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu fangen, zu verletzen oder zu töten,
2.
2. wild lebende Pflanzen ohne vernünftigen Grund von ihrem Standort zu entnehmen oder zu nutzen oder ihre Bestände niederzuschlagen oder auf sonstige Weise zu verwüsten,
3.
3. Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen oder zu zerstören.
Eine Netzblüte zum Thema Wespenbekämpfung
„Ins Dunkle gebaute Nester (Zwischendecken, Rollladenkästen, dunkle Dachböden, Erdlöcher) werden unter anderem von den beiden häufigsten Wespenarten, der Deutschen und der Gemeinen Wespe, bewohnt. Diese beiden Arten können Völker mit bis zu mehreren Tausend Tieren bilden, die bis in den November ausdauern können und etwas aggressiver sind. Bei richtigem Umgang und Abstand vom Nest lässt sich auch mit ihnen leben. Da auch geschützte Arten, unter ihnen die Hornisse, zu den Dunkelnest-Bewohnern zählen, ist zur Beurteilung solcher Fälle die Artbestimmung durch einen Fachmann unerlässlich. (…) Notwendige Unterlagen: Zur Vorab-Bestimmung der Art sind einzelne tote Tiere verwendbar, die sich in der Nähe des Nestes finden. Als Verpackung eignen sich Streichholzschachteln, Filmdöschen etc. Ansonsten reicht ein formloser (fern)mündlicher oder schriftlicher Antrag mit Angaben zur Lage des Nestes und Begründung, warum das Nest unbedingt beseitigt werden muss.“
(Quelle: allg. Schädlingsbekämpfung Leverkusen, Inh. Stefan Kittner)