Windkarte basiert auf umstrittenem TÜV-Gutachten
Rund 870 Hektar groß ist das so genannte Windvorranggebiet in der nördlichen Wetterau.
Ein Sturm der Entrüstung brach los, als das bekannt wurde. Es drohe ein riesiger Industriepark mit bis zu 100 Windrädern, das Landschaftsbild werde zerstört, Menschen und Tiere würden durch diesen Moloch zerstört, und alles nur, weil ein paar Investoren auf Kosten anderer den schnellen Euro machen wollten. Ob allerdings und wenn ja wie viele Windräder sich in der Wetterau und den anderen hessischen Windvorranggebieten drehen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig offen. Denn bislang gibt es keine belastbaren Aussagen über die tatsächlichen Windverhältnisse in diesen Gebieten.
Windige Windvorranggebiete
Zwar sind in einer so genannten Windressourcenkarte jene Gebiete mit mehr als 5,75 Meter pro Sekunde Windgeschwindigkeit verzeichnet – das sind Werte, die nach der Vorgabe der hessischen Landesregierung den Betrieb von Windkraftanlagen zulassen. Doch die Werte sind nicht gemessen, sondern weitgehend berechnet. Grundlage ist ein Gutachten des TÜV Süd, das mit komplizierten Berechnungen aufgrund bestehender Anlagen Daten für die Windressourcenkarte lieferten. Als ein Sprecher des TÜV in einer Landtagsanhörung zum Landesentwicklungsplan im Mai 2013 einräumte, es handele sich um ein „Grobgutachten“, staunte nicht nur die Landtagsopposition. Das TÜV-Gutachten sei die „Achillesferse“ des Planentwurfs, so der SPD-Abgeordnete Timon Gremmels. Sollte der Plan unverändert verabschiedet werden, drohten Klagen und eine juristische Niederlage für die Landesregierung. Windkraftgegner- und befürworter horchten auf.
Doch hessische Wirtschaftsministerium blieb bei seiner Linie und schickte den Planentwurf in das Verwaltungsverfahren. Und diesen Entwurf muss jetzt auch der Regionalverband nach außen vertreten, trotz aller Zweifel an der Aussagekraft der Daten. Das wurde auch bei der jüngsten Bürgerversammlung in Rockenberg deutlich, als sich die für das Planverfahren zuständige Referentin des Regionalverbandes, Gabriele Bloem, bohrenden Fragen des Publikums ausgesetzt sah. „Wir fühlen uns auch nicht wohl, dass es keine Windmessungen gab“, sagte Bloem.
Aber das sei Vorgabe des Ministeriums. „Wenn Sie mich fragen: Ich würde auch messen“, gab sie offen zu. Ihre Vermutung: Es war wohl finanziell nicht leistbar gewesen, auf so großen Flächen Einzelmessungen vorzunehmen. Also appellierte Bloem an alle Behörden, Verbände oder Einzelpersonen, die über aussagekräftige Daten zu Windgeschwindigkeiten in den jeweiligen Vorranggebieten verfügen, diese dem Regionalverband zur Verfügung zu stellen.
Um das TÜV-Gutachten werde „viel zu viel diskutiert“, glaubt dagegen Regionalverband-Sprecher Frank Tekkelic. Denn: „Die Vorranggebiete sind jene Gebiete, die theoretisch in Frage kommen, weil sonst nichts dagegen spricht. In diesen Gebieten hat ein Investor juristisch keine Probleme.“ Und ob dort tatsächlich genügend Wind weht, „ist Sache des Investors“.
In der Tat bewegen sich die Planer angesichts dieser Vorgaben derzeit auf dünnem Eis. Der Windatlas könne Windgutachten für einen spezifischen Standort nicht ersetzen, heißt es in der TÜV-Expertise. Erst ein solches Gutachten „ermöglicht bankfähige Aussagen über die Windverhältnisse an einem Standort und ist damit eine wesentliche Voraussetzung für die Finanzierung von neuen Windenergieprojekten“, heißt es auf Seite 82. Mit anderen Worten: Derzeit reden Planer, mögliche Betreiber von Windparks, Kommunalpolitiker und die Öffentlichkeit ins Blaue.
Das Hinterfeld in Oppershofen
Das bekamen Vertreter des Regionalverbandes, aber auch der beiden Firmen Alphasol und Rotor-Kraftwerke in der Bürgerversammlung in Rockenberg zu spüren. Beide buhlen um den Zuschlag für das Hinterfeld und gerieten immer dann ins Schlingern , wenn es um Windpotenziale und die daraus abgeleitete Wirtschaftlichkeit von Windkraftanlagen ging. Das, sagte Gerhard Zimmermann von der Firma Rotor-Kraftwerke, müsse die Öffentlichkeit nicht interessieren. Zimmermann: „Das ist Sache des Betreibers. Und wenn der sieht, dass die Anlage nicht rentabel ist, lässt er die Finger davon.“
Das wird so sein. Denn in den Schwachwindgebieten im Binnenland – und dazu gehören auch die 870 Hektar Vorranggebiet rund um Rockenberg, Münzenberg, Wölfersheim und Bad Nauheim – lassen sich Windräder gerade mal rentabel betreiben – wenn alle Parameter stimmen. Das hat auch jener Investor erkannt, der sich bereits vor Alphasol und Rotor-Kraftwerke für den Bau eines Windparks im Hinterfeld bemühte. Wegen des erwarteten zu geringen Gewinns zog er sich zurück. Rotor-Kraftwerke will es dennoch versuchen. Drei Windräder sollen entstehen, mit einer Nabenhöhe von 135 Metern und einer Gesamthöhe von 200 Metern. Das Unternehmen geht von einer mittleren Windgeschwindigkeit von 5,8 Meter pro Sekunde aus. Das, so die Berechnung, bringt einen jährlichen Ertrag von 1,5 Millionen Euro.
Allerdings geht Zimmermann davon aus, dass die derzeitige Einspeisevergütung nicht nach unten korrigiert wird. „Wir haben 8,5 Cent zugrunde gelegt“, so Zimmermann. Auch die Ergebnisse der Windmessungen, die für das Genehmigungsverfahren notwendig sind, müssten seine Annahmen bestätigen. Und die Anlagenbauer müssen mitziehen. Zimmermann: „Die Anlagenpreise bestimmen die Wirtschaftlichkeit.“ Schließlich muss er abwarten, zu welchen Konditionen die Bank ein Darlehen gibt.
Derzeit setzt Rotor-Kraftwerke, je nach Ertrag, das Nutzungsentgelt für Grundstücksbesitzer auf 7,5 Prozent an. Ein Drittel der Summe soll an die Gemeinde fließen. Die anderen zwei Drittel werden noch einmal aufgeteilt nach dem so genannten Standort-Modell. 30 Prozent erhalten jene, auf deren Land die Fundamente stehen, 70 Prozent werden ausgeschüttet an alle benachbarten Landbesitzer im Hinterfeld . Zimmermann: „Da steigert die Akzeptanz.“
Ob das alles realistisch ist, interessiert natürlich neben den Grundstücksbesitzern auch interessierte Privatanleger, die in die Anlagen investieren wollen. Es gebe immerhin bereits Investoren-Interesse über fünf Millionen Euro, sagte Klaus Becker von Rotoren-Kraftwerke. Und die verfolgen das weitere Verfahren mit großem Interesse. Vor allem sind sie, ebenso wie die Windkraftgegner, an möglichst verlässlichen Zahlen interessiert. Mit dem derzeitigen Stand dürften sie mehr Fragen haben als Antworten bekommen.
Hallo Herr Seib,
interessant zu lesen – wie das ankommt, was man in Debatten versucht zu erläutern.
Ein Missverständnis möchte ich jedoch hier nochmal ansprechen.
Meines Erachtens bedarf es keines Windertragsgutachtens zur Erlangung der BImSchG-Genehmigung.
Nach früherem EEG musste man zur Erlangung der erhöhten Einspeisevergütung mindestens 60% des Ertrages einer genormten Referenzanlage nachweisen.
Dies ist jedoch, nach meiner Information, heute nicht mehr erforderlich.
Hingegen werden von Banken zur Gewährung eines Darlehns – im Zuge des Wirtschaftlichkeitsnachweises mehrere unabhängige Gutachten gefordert.
Somit ist es eben im Interesse des Projektentwicklers in einem Windgebiet zu planen, welches auch eine ausreichende Wirtschaftlichkeit garantiert – so auch meine Darlegungen.
Die Debatte um die Mindestwidgeschwindigkeiten scheint mir somit eher auf der FNP bzw. Regionalplan-Ebene -bei der Ausweisung der Windgebiete- von Interesse – und zwar damit keine Windvorranggebiete ausgewiesen werden, in denen kein Interessent wirtschaftlich bauen kann.
Soweit meine Erläuterungen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Zimmermann