Backhilfe

Schlaflos bei Mörlerjutta

Landbote-Mitarbeiterin Jutta Himmighofen-Strack hat eine Nachtschicht in der Bäckerei Mörler in Friedberg eingelegt. Hier ist noch Handarbeit angesagt. Auf Backmischungen und vorgefertigte Produkte wird verzichtet. Die Nacht zu Samstag ist für die Bäcker ein Wettlauf mit der Zeit. Jeder Handgriff muss sitzen. „Mit meinem Tempo würde die Filiale in Bad Nauheim morgen sicher nicht beliefert werden können“, muss die Autorin feststellen.

Backhilfe

Von Jutta Himmighofen-Strack

Freitag, kurz nach 22 Uhr. Ich bin  müde und der Gedanke, mir jetzt eine Nacht um die Ohren zu schlagen, erheitert mich wenig. Soll ich wirklich klingeln? Letztlich siegt mein Pflichtgefühl. Schließlich war es meine Idee eine Reportage über einen Bäckerbetrieb zu schreiben und der Termin steht. Energisch drücke ich auf den Klingelkopf der Hofbäckerei Mörler in Friedbergs Altstadt. Das Abenteuer „Nachtschicht in einer Handwerksbäckerei“ kann beginnen.

Die beiden Geschäftsführer „Steffen und Steffen“ sind schon mittendrin in den Vorbereitungen. „Seit wir unsere Filiale in Bad Nauheim Anfang des Jahres eröffnet haben“ ist die Nacht von Freitag auf Samstag zu einem ganz besonderen Wettlauf mit der Zeit geworden“, erzählt Steffen Mörler. Na ja,  denke ich selbstbewusst, heute habt ihr ja eine Zusatzkraft.  Voller Tatendrang ziehe ich die Bäckerkluft an, die für mich aus T-Shirt, Schürze und Kappe besteht, und wasche und desinfiziere meine Hände. Mittlerweile sind noch ein Meister und ein Geselle in der Backstube eingetroffen und die Stimmung ist trotz Hektik gut. Wir beginnen mit dem Usagässer Krüstchen, einer von Mörler entwickelten Brotspezialität. Steffen Mörler verwendet eigene Rezepturen und keine fertigen Backmischungen oder gar Convenience Produkte, also industriell vorgefertigte Backwaren. Das erzählt er, während die Teigmaschine die Zutaten miteinander mischt. Bei meinem Versuch, die zuvor abgewogenen Teigstücke in eine halbwegs passable Brotform zu verwandeln, bekomme ich eine erste Ahnung davon, wie viel Mehrarbeit dahinter steckt, wenn man sich wieder für die traditionelle Backkunst entscheidet. Der Teig ist so weich, dass er an meinen Händen klebt, wenn ich nicht schnell genug im Formen bin. Damit haben auch die Maschinen bei der industriellen Produktion Probleme. Deshalb werden die Backmischungen den Maschinen angepasst und kleben nicht, erläutert der andere Steffen, Steffen Schill.

Die Usagässer Krüstchen sind fertig und kommen ab ins Körbchen. Mittlerweile habe ich begriffen, dass ich hilfreicher bin, wenn ich einfachen Arbeitsaufträgen folge. Es ist ein Unterschied zur heimischen Küche.  Mir fehlen einfach das handwerkliche Geschick und die Routine. Mit meinem Tempo würde die Filiale in Bad Nauheim morgen sicher nicht beliefert werden können. Jeder Arbeitsgang ist minutiös geplant. Zuerst werden die Zutaten für die jeweiligen Brot- und Brötchensorten zusammengestellt. Dann sorgt die XL-Version der privaten Küchenmaschine dafür, dass gemahlenes Getreide, Wasser, Triebmittel und eine individuelle „Mörler-Gewürzmischung“ gut miteinander vermengt werden. Anschließend ruht der Teig. Sobald er die richtige Konsistenz hat, wird er geformt. Mal zu einem klassischen Brotlaib, mal rund als 500 oder 1000 Gramm Brot oder als handtellergroße Fladenbrote – bei Mörler heißen sie Vinschgauer. Jetzt dürfen die in Form gebrachten Brotteige noch einmal  „gehen“. Entweder auf dem Blech oder im Gärschrank.

Was „Einschießen“ bedeutet

Das muss alles aufeinander abgestimmt werden, damit der Mitarbeiter am Ofen keinen Leerlauf hat. „Einschießen“, so lerne ich in dieser Nacht, bedeutet, das Brot in das jeweilige Backfach zu schieben. Beim Mörler gibt es fünf davon. Die dürfen in dieser Nacht niemals leer sein.  Sonst stimmt der Zeitplan nicht mehr.

Mittlerweile ist es 1 Uhr in der Frühe. Ich habe französisches Baguette in Form gerollt, Schweizer Wurzelbrot gedreht: Das Teigstück rollen und dann an den Enden links nach innen drehen und rechts nach außen. Eine nächtliche Attacke an meine Koordinationsfähigkeit. Ich habe immer wieder die fertig gebackenen Brötchen vom Blech genommen und auf die jeweiligen Körbe für den Verkauf verteilt. Ich traue es mich kaum vor den Männern einzugestehen, aber ich bin total platt – und das nach drei Stunden. „Das ist die Bäckerkrankheit beruhigt mich Steffen Schill“, der bereits mit 13 Jahren Samstags in der Mörler Backstube ausgeholfen hat. Das lange Stehen quält und der ungewohnte Nachtrhythmus macht allen am Anfang zu schaffen“.

Also setze ich mich mal kurz und sorge – wie auch die Männer mit den schwarzweiß karierten Hosen –  mit einer Tasse Kaffee dafür, dass ich weiter durchhalte. Zumal ich jetzt endlich Handlangerin bei den süßen Stückchen sein darf. Erinnerungen kommen hoch. Früher hatte ich gemeinsam mit meinem Bruder heimlich Streusel gemacht, wenn das Schrankfach mit den Süßigkeiten wieder einmal enttäuschend leer war. Auch wenn in der Backstube Mörler die Menge der Streusel deutlich größer ist, die Zubereitung ist die gleiche. Auch die anderen Zutaten erinnern mich an meine heimische Küche. Die Äpfel für die Plunder-Stückchen hat der Senior am Abend zuvor schon geschält und in Stücke geschnitten, die Schokoladenkonfitüre für die Donuts ist eine klassisch geschmolzene Schokolade, der Zuckerguss für die Kirschstückchen wird frisch angerührt, damit er glänzt und nicht stumpf ist.

Steffen Mörler weiß, dass bei so viel Handarbeit Grenzen gesetzt sind. „Wir haben diesen Weg bewusst gewählt. Wer mehrere Filialen betreibt, kann so nicht arbeiten, das ist einfach nicht wirtschaftlich.“

Mittlerweile ist es 3.30 Uhr und mir ist auch noch schlecht. Zuviel probiert. Ofenwarme Brötchen, frische Streuselstückchen, Minicroissants mit Schokolade gefüllt und zum Schluss noch diese wundervollen Kanadier mit Pegasus Nüssen und Ahornsirup.

Der klassische Apfelkuchen für den ehemaligen Friedberger Bürgermeister Ludwig Fuhr ist auch fertig. Fuhrs Kuchen hat auf dem Bestellformular für Samstag seinen festen Platz. Die Kisten für Bad Nauheim sind gepackt, die italienischen Croissants für das Friedberger Cafe mit großer Sorgfalt in die Kisten verpackt, die Donuts mit farbigen Zuckerperlen bestückt und das Laugengebäck mit einem Herz verziert.

Für mich ist jetzt Feierabend. Ich bin heilfroh ins Bett zu kommen. Vor lauter Eile vergesse ich das allerwichtigste: Mir frische Brötchen zum Frühstück mitzunehmen.

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Die Backhilfe hat Pause

Die Geschichte der Bäckerei Mörler

1607 ist das Haus in der Usagasse 14 erstmalig urkundlich erwähnt. Seit dieser Zeit wurde hier immer professionell gebacken. Anfang des 20. Jahrhunderts sogar für den  großherzoglich hessischen Hof, wenn der Großherzog im Schloss – seiner Sommerresidenz – weilte, und auch für den kaiserlich russischen Hof, als die Zarenfamilie im Jahre 1910 zur Kur in Nauheim war und im Friedberger Schloss wohnte. Seit dieser Zeit darf man die Bäckerei als Hofbäckerei bezeichnen.

Die Familie Mörler führt seit 1937 mit Ernst Mörler diese Bäcker-Dynastie fort. Heute arbeiten in der Backstube drei Bäckermeister und zwei Gesellen.

Seit Januar 2014 gibt es in Bad Nauheim in der Parkstraße Ecke /Kurstraße eine Filiale der Hofbäckerei Mörler.

Ein Gedanke zu „Backhilfe

  1. Klasse Bericht, schön geschrieben !
    Da ich heute Nacht irgendwie schlecht schlief und seit vier Uhr wach war, entschloss ich mich, meiner Verwandschaft einen Besuch in der Backstube ab zu statten und war um halb sechs bei der Auslieferung der Backwaren für die Bad Nauheimer Filiale behilflich.
    War eine schöne und spannende Abwechslung für mich, kann aber regelmäßig nur machen, wer sich dazu “Beruf-en“ fühlt!!
    Mein höchster Respekt gilt allen Mitgliedern der sehr ehrenwerten Bäckerzunft!!! 🙂

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